Die Liebe atmen lassen
Bereitschaft zur Arbeit an ihr, da das Glück doch »schon da ist«. Wer meint, dass ein gemeinsames Leben ganz von selbst gelingt, dem wird es allzu rasch misslingen.
Ein Zufallsglück steht wohl am Anfang jeder Liebe. Aber kann es wirklich Zufall gewesen sein? War es nicht zwingende Notwendigkeit, schicksalhafte Fügung, weise Vorsehung einer unbekannten Macht? Gibt es überhaupt Zufälle? Die Beteiligten neigen dazu, mit religiösem Glauben, säkularer Wissenschaft, naiver oder professioneller Astrologie eine Antwort darauf zu finden, um die Zwangsläufigkeit der Begegnung sicherzustellen, der sie nicht entkommen konnten und die ihrer Beziehung Sinn verleiht, denn Notwendigkeit und Zielgerichtetheit verbürgen in den Augen vieler einen stärkeren Zusammenhang als der blanke Zufall. Im Nachhinein werden Gründe konstruiert, aus subjektiver Sicht re konstruiert, die den kausalen, unaufhaltsamen Hergang der Begegnung verdeutlichen, damit keine Grundlosigkeit die Gemeinsamkeit untergraben kann. Entscheidend dafür ist nicht die Wahrheit, sondern die Beziehungswahrheit , die gemeinsame Überzeugung, mit der sich gut leben lässt. Sie beruht auf einer Deutung, diesich im Laufe der Beziehung noch mehrmals verändern kann, bis die unwiderrufliche Notwendigkeit des Anfangs eventuell noch von der Deutung einer anfänglichen, verhängnisvollen Täuschung abgelöst wird, die letztlich das Ende der Beziehung besiegelt. Im Grunde aber bleibt es geheimnisvoll, was den Kern der Begegnung zwischen zweien ausmacht: Warum sie aufeinandertrafen und warum gerade sie zusammenkamen, ob es ein glücklicher Zufall oder ein dummes Missverständnis war. Die Gegensätze, die sich vielleicht von Anfang an zwischen ihnen abzeichneten, verdeckt am besten der Schleier einer bindenden, verbindenden Erotik. Das darunterliegende Geheimnis unbedingt lüften zu wollen, macht alles zunichte.
Haben zwei sich dann glücklich gefunden, ist mit dem Glück in der Liebe zweifellos auch das Wohlfühlglück gemeint. Die guten Gefühle, die die Beziehung mit sich bringt, der Spaß, den die Liebenden miteinander haben können, die Sinnlichkeit, die sie gemeinsam genießen, das Verständnis und die Geborgenheit, die sie beieinander finden: All dies vorsätzlich zu suchen, gehört zur Arbeit am Glück in der Liebe, denn anders als das Zufallsglück kann das Wohlfühlglück nicht nur provoziert, sondern auch produziert werden. Mit immer neuen Experimenten und wachsender Erfahrung können die Liebenden wissen, wie und womit sie sich wechselseitig gut tun können: Ein köstliches Mahl, ein wundervoller Abend, ein langes Gespräch, eine hingebungsvolle Zärtlichkeit, eine leidenschaftliche Nacht, denn vor allem guter Sex macht Menschen glücklich, wenngleich nicht alle und nicht alle auf die gleiche Weise. Ein glückliches Leben zu zweit ist ein Leben im Vollbesitz der Kräfte und Säfte, die das Menschsein bestärken, und hier ist sie auch am ehesten zu finden: Die Liebe à la folie , mit euphorischen Zuständen und körpereigenerChemie, die »Glückshormone« wie Serotonin und Dopamin, »Bindungshormone« wie Prolaktin und Oxytocin ausschüttet und die Liebenden mit Endorphinen versorgt, »endogenen Morphinen«, körpereigenen Drogen. Die können allerdings ähnliche Konsequenzen nach sich ziehen wie körperfremde: Zu häufiger Gebrauch mindert die Wirkung, sodass die Dosis gesteigert werden muss; zu große Regelmäßigkeit befördert die Abhängigkeit, die ungute Folgen für die Beziehung haben kann.
Das Bewusstsein, dass es sich dabei um Glücksmomente handelt, seien sie flüchtig oder etwas dauerhafter, macht jeden einzelnen Moment kostbar und intensiviert seine Erfahrung. Ergiebiger noch als der Moment selbst ist die Vorfreude darauf, die schon lange vorher einsetzt, und die Erinnerung daran, die die Erfahrung noch lange wachhält. Schöne Erlebnisse ständig weiter »toppen« zu wollen, läuft jedoch auf Ermüdung und Erschöpfung hinaus; sie stets in gleicher Weise wieder haben zu wollen, ist vergeblich, denn identische Wiederholungen gibt es nicht, und auf allzu hohe Erwartungen an das Wohlgefühl in einer Beziehung folgen eher tiefe Enttäuschungen. Gemeinsame Erlebnisse, gemeinsam bewältigte Herausforderungen, gemeinsam genossene Lüste sind schöne Augenblicke, selige Erfahrungen, und man sollte sich ihrer erfreuen, wo immer es nur möglich ist, aber nicht böse sein darüber, dass sie selbst dann, wenn sie länger vorhalten, auch wieder vergehen
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