Die Liebe atmen lassen
Konsequenzen für die Lebbarkeit meines Lebens und die Wertschätzung meiner selbst nach sich. Das ist der Grund für Nietzsches Beharren, trotz aller Kritik am Wahrheitsbegriff, auf der »Redlichkeit gegen sich selber«, um zu einer selbstkritischen Haltung in der Lage zu sein und einGespür dafür zu bewahren, was Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne bedeuten. Das erfordert nicht, im Verhältnis zu sich Lebenslügen auszuschließen, jedoch sich ihrer bewusst zu sein, um nicht zu ihrem Sklaven zu werden. Lebenslügen sind Notbehelfe Einzelner, auch ganzer Gesellschaften, um das Leben besser zu bewältigen; »besser« nicht unbedingt im Sinne von »bequemer«, eher im Sinne von »riskanter«, denn wenn die Lüge zerbricht, ist der Absturz ins Bodenlose sicher. Das Klugheitskalkül legt nahe, sich um eine Lebensgrundlage zu bemühen, die stabiler und dauerhafter in der Wahrheit zu finden ist, Wahrheit im Sinne einer Plausibilität, die auch kritischen Fragen standzuhalten vermag, denn das erlaubt eine Freimütigkeit der Lebenshaltung, die nachdrückliche Rückfragen nicht zu scheuen hat. Von der Last überbordender Lügen befreit, kann das Leben in der Wahrheit einiges zum Glück in der Liebe beitragen, das überdies noch andere Facetten bereithält.
Was es heißt, Glück in der Liebe zu haben
Nicht zu allen Zeiten haben Menschen mit der Beziehung der Liebe einen Anspruch auf Glück verbunden. Die Befreiung von überkommenen religiösen, traditionellen und konventionellen Auffassungen, die Liebe diene der Fortpflanzung und dem Überleben der Sippe, machte jedoch eine neue Sinngebung erforderlich, und das Glück konnte die Leerstelle besetzen. Es ist keine zwingende, aber eine mögliche Sinngebung. Wer sich in moderner Zeit nach Liebe sehnt, wünscht sich daher oft nichts sehnlicher, als »einfach nur glücklich zu sein«. Die Suche nach dem Glück täuscht dabei darüber hinweg, dasses in Wahrheit um mehrere Glücke geht, die dafür sorgen, dass niemand Mangel leiden muss. Jede Liebe ist zunächst angewiesen auf das Zufallsglück , das einen Menschen zufälligerweise in diesem Moment an diesem Ort sein lässt, zufälligerweise einen Anderen auch, sodass zwischen beiden »ein Funke« überspringen kann. Aufgrund günstiger Zufälle finden sich »die Richtigen«, aufgrund ungünstiger können sie sich auch verfehlen, ohne jemals voneinander zu wissen, oder es finden sich »die Falschen«, wobei meist nur einer, meist der Andere, der Falsche ist. Tückischerweise steht nicht von vornherein fest, wer falsch, wer richtig ist: Erst die Erfahrung ermöglicht die Bewertung, die sich im Laufe der Zeit noch mehrmals ändern kann, sodass der Richtige irgendwann als der Falsche, der Falsche dann wieder als der Richtige erscheint.
Zufälle, erst recht günstige, können nicht produziert, nur provoziert werden. Ausschlaggebend dafür ist die Haltung gegenüber Zufällen überhaupt: Sich ihnen zu öffnen oder vor ihnen zu verschließen. Sich vor ihnen zu verschließen erfordert, sich in die eigenen vier Wände zurückzuziehen, um überraschende Begegnungen zu verhindern, ferner den attraktiven Möglichkeiten, die sich bei unvermeidlichen Aufenthalten draußen auftun, nicht zu folgen. Auch das Fenster zur Welt, das das Internet darstellt, ist verschlossen zu halten, um jede Provokation des Zufalls zu unterlassen, insbesondere dann, wenn die eigene Wirklichkeit schon von einer Beziehung besetzt sein sollte, denn entgegen einer verbreiteten Auffassung ist niemand dazu verpflichtet, Zusatzbeziehungen einzugehen, nur weil die Gelegenheit dafür günstig erscheint. Sich Zufällen zu öffnen aber geht damit einher, sie willkommen zu heißen, sich von ihnen in Versuchung führen zu lassen und sie selbst in Versuchung zu führen. Versuchung heißt, einenVersuch mit sich machen zu lassen oder aber selbst zu machen, um auszuprobieren, was möglich ist und was nicht, in der Hoffnung auf einen günstigen Ausgang. Die Wahrscheinlichkeit, dass von irgendwoher etwas zufällt, wird deutlich größer, wenn ein Mensch Anderen in irgendeiner Form mitteilt, dass er an Informationen, Begegnungen, Erfahrungen interessiert ist; das Internet verdankt seinen Erfolg zu einem nicht geringen Teil den vielfältigen Möglichkeiten hierzu. Sollte aber das Zufallsglück tatsächlich günstig ausfallen, heißt das keineswegs, dass dies auch so bleibt: Der günstige Zufall verbessert nur die Bedingungen für eine Beziehung, verschlechtert aber häufig die
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