Die Liebe atmen lassen
müssen, bevor sie auf andere Weise wiederkehren können: Logik der Liebe .
Kann die Liebe nicht immer voller Lust und Wohlgefühl sein? Nichts liegt näher als dieser Wunsch, aber das Leben kann ihn nicht erfüllen. Der gottgleiche Status der Allgegenwart und Unsterblichkeit, der den Lüsten und guten Gefühlenin moderner Zeit zugeschrieben worden ist, ist ihnen nicht angemessen. »Alle Lust will Ewigkeit«, meinte Nietzsche ( Also sprach Zarathustra , IV, »Das Nachtwandler-Lied«), aber genau die bekommt sie nie. Daher wäre Sorge dafür zu tragen, keine reine Wohlfühlliebe realisieren zu wollen: Auch Wohlgefühl und Lüste müssen atmen können und bedürfen der Pausen, in denen sie die Kräfte regenerieren, die sie verschwenden. Vor allem die Zeiten des Verliebtseins und der Leidenschaft erweisen sich als Amaretto-Glück , herrlich süß, aber bald schon allzu süßlich. Lüste zu genießen ist unverzichtbar, um negative Erfahrungen mit positiven ausgleichen zu können, aber das Glück in süßen Lüsten allein zu suchen, ist der sicherste Weg, unglücklich zu werden. Statt in die Wohlfühlfalle zu tappen und in Wellnessstress zu geraten, erscheint es sinnvoller, darauf vorbereitet zu sein, dass nicht jederzeit alles wohlig sein kann, dass es immer noch andere Zeiten gibt und auch Liebe nicht stets in gleicher Intensität zur Verfügung steht: Sie schwillt an und zieht sich wieder zurück, erklimmt eine Höhe und muss wieder durch die Mühen der Ebene hindurch. Anders als viele glauben wollen, ist für das Wohlfühlglück keine Maximierung, sondern eine Optimierung der Lüste von Bedeutung, und das fragliche Optimum bewegt sich immer zwischen einem Weniger und Mehr, Zuwenig und Zuviel, Minimum und Maximum; es ist kein feststehendes Maß, sondern ein atmendes Maß , selten bei zweien das gleiche und auch beim Einzelnen selbst je nach Tagesform immer ein anderes. Das jeweils richtige Maß zu treffen bedarf des Gespürs, das mit Erfahrung und Besinnung wächst.
Soll die Liebe eine Nacht und eine Weile des Verliebtseins überstehen, kommt ein drittes Glück in Betracht, das anders als das Wohlfühlglück von Dauer sein kann: Das Glück derFülle umfasst die gesamte Fülle der Erfahrungen, positive wie negative; abhängig ist es allein von der geistigen Haltung , die der Einzelne selbst im Denken gewinnt und einübt, ausgehend von der Frage: Was ist charakteristisch für das Leben und die Liebe? Ist es nicht die Polarität , die sich in allem zeigt? Ist es mir möglich, sie grundsätzlich zu akzeptieren, wenn auch nicht in jeder ihrer Erscheinungsformen? Erscheint mir das Leben, die Beziehung in aller Polarität dennoch schön und bejahenswert? Kann ich außer mit dem Positiven auch mit dem Negativen in mir selbst und im Anderen sowie in der Beziehung zu ihm leben? Dann ist ein atmendes Glück möglich, bei dem ich nicht mehr verkrampft an tollen Momenten festhalten muss, die nicht vergehen dürfen, sondern auch die anderen Seiten des Lebens akzeptieren kann. Anders, »negativ«, sind Ärger, Enttäuschung, Verletzung, Unglücklichsein, die die Beziehung nicht dominieren sollen, aber auch nicht eliminiert werden können. Die Fixierung auf das »Positive« kann sie nicht zum Verschwinden bringen, ganz im Gegenteil: Die Gewöhnung an die Lust steigert im Gegenzug noch die Schmerzempfindlichkeit.
Inmitten der Verliebtheit verweisen erste Gegensätze schon auf die Fülle, die charakteristisch für die Liebe ist, und gerade dann ist es wohl wahre Liebe , wenn die gegensätzlichen Seiten in ihr Platz haben. Die Liebe besteht nicht nur aus Glücksmomenten, sondern auch aus den Momenten »danach«, den Zeiten »dazwischen«, den »Auszeiten« des Alltags, der Indifferenz, der schlechten Laune, aus deren Sicht die Lust als eine bloße Ausnahmeerfahrung erscheint; Zeiten nicht nur der angenehmen Wohligkeit, sondern auch der schmerzlichen Erfahrungen, die nicht zu vermeiden sind und deren Hinnahme ein Element der liebenden Hingabe sein kann: »Wer den Schmerzflieht, will nicht mehr lieben« (Novalis, Tagebucheintrag vom 6. Juni 1797, Über die Liebe , Sammelband, 2001, 49). Zeiten auch der Enttäuschung, wenn klar wird, dass der Andere (wie das Selbst) noch andere Seiten in sich birgt als diejenigen, die das Wohlgefühl befeuern. Je größer die Euphorie, je heftiger die Verausgabung zu zweit war, desto intensiver fällt das Bedürfnis des Einzelnen aus, sich wieder auf sich zu besinnen, wenngleich das bange Fragen des
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