Die Liebe atmen lassen
verlässliche Mensch kann sich mit der Einhaltung von Terminen schwer tun. Und wer im Fachlichen vertrauenswürdig ist,ist es nicht zwangsläufig auch im Privaten. Wer sich in einer Phase als vertrauenswürdig erweist, ist es nicht unbedingt in einer anderen. Und so, wie in manchen Situationen die Offenheit vertrauenswürdig ist, ist es bei anderen Gelegenheiten die Verschwiegenheit.
Auffällig ist: Vertrauenswürdig sein wollen alle, in jeder Hinsicht. Offenkundig handelt es sich um einen besonderen Aspekt der allgemeinen Würde des Menschen, denn alle fühlen sich gewürdigt , wenn ihnen und der Sache, die sie vertreten, Vertrauen geschenkt wird, sowie entwürdigt , wenn nicht. Mangelndes Vertrauen bringt fehlende Wertschätzung zum Ausdruck, zumindest wird es so verstanden. Das Vertrauen hingegen lässt einem Menschen fühlbare Wertschätzung zukommen und kann sogar Ausdruck einer außerordentlichen Hochschätzung sein, denn ein Verzicht auf eigene Macht ist erforderlich, um ihm zu vertrauen und damit seiner Selbstmächtigkeit, Freiheit und Eigenverantwortung Raum zu geben. Das Vertrauen in den Anderen stärkt wiederum dessen Vertrauen in sich und sein eigenes Leben ungemein; er traut sich etwas zu und macht die Erfahrung, selbst etwas bewirken zu können. Das passiv erhaltene Vertrauen wird in ein aktives , eigenständiges umgewandelt und sorgt für einen Motivationsschub ersten Ranges, sich Anderen zu öffnen, Probleme anzugehen, auch eigene Einstellungen zu überdenken und überhaupt große Anstrengungen auf sich zu nehmen, ausgestattet mit Kräften, die nicht mehr nur die eigenen sind. Sehr viel Mut, Zuversicht und Kreativität wird auf diese Weise frei, und das neu gewonnene Selbstvertrauen befördert wiederum das aktive Vertrauen gegenüber Anderen, das diesen nun als passiv erhaltenes zur Verfügung steht und ihr Selbstvertrauen stärkt …, ein perpetuum mobile .
Dass Menschen überhaupt vertrauen können, kommt auf verschiedenen Wegen zustande, zunächst auf dem Weg der Erfahrung : Ist mir nichts Schlimmes widerfahren oder konnte ich es, wenn doch, gut bewältigen, dann ist meine Zuversicht groß, dass dies auch weiterhin so sein wird. Erfahrung gibt zudem den Ausschlag dafür, dass Andere mir vertrauen, denn einem erfahrenen Menschen wird vieles zugetraut und anvertraut; er kennt die Regelmäßigkeiten und Unregelmäßigkeiten des Lebens und der Dinge und weiß vermutlich gut damit umzugehen. Parallel dazu entsteht Vertrauen durch den Vorgang der Widerspiegelung , wenn Menschen in sich das Vertrauen widerspiegeln, das sie bei Anderen wahrnehmen, vornehmlich bei Eltern, Geschwistern, Freunden, Idolen und sonstigen Autoritäten, bis hin zu Gott, sofern sie an ihn glauben. Aus Erfahrung und Widerspiegelung gehen Grundvertrauen und »Urvertrauen« hervor. Stehen aber diese beiden Wege nicht zur Verfügung, kann willentlich ein Prozess der Prüfung in Gang gesetzt werden, um über fragliche Menschen, Dinge und Verhältnisse Auskünfte einzuholen, Zeugnisse heranzuziehen, Gutachten erstellen zu lassen und im direkten Gespräch einen Eindruck zu gewinnen, ob vertraut werden kann. Allerdings werden auch penible Prüfungen keine letzte Gewissheit über künftige Erfahrungen erbringen, sodass zuletzt nur der Sprung ins Vertrauen übrig bleibt: Ich wage ihn unwillkürlich , wenn ich gute Erfahrungen gemacht habe und Zuwendung, Zuneigung, Interesse und Verständnis erfahre, mein Gegenüber sympathisch und das Umfeld günstig finde. Möglich ist jedoch ebenso der willentliche Sprung ins Vertrauen, der »Vertrauensvorschuss« als Wette auf die Zukunft: »Jetzt vertraue ich einfach mal!«
Anfänglich und immer von Neuem sind esBesonderheiten der Haltung und des Verhaltens eines Menschen, die Vertrauen erwecken: Der offene Blick, die verhaltene Gestik, die sonore Stimme, die sorgfältige Formulierung, das Zuhörenkönnen, das Eingehen auf Wünsche, die Einfühlung, Anerkennung, Ermutigung, Bestärkung, auch dass er sich mir anvertraut, etwa mit der Bitte um Hilfe, seine eigene Hilfsbereitschaft und Bereitschaft zur Verantwortung, die Orientierung an Werten, die Konzentration auf eine Sache, das Erinnerungsvermögen, das Verlässlichkeit verbürgt, die körperliche Nähe, die beruhigend wirkt, der Humor, der erwarten lässt, dass nichts Schlimmes droht. Gemeinsamkeiten sind hilfreich: Demselben Geburtsjahrgang anzugehören, dieselbe Musikrichtung zu mögen, gleiche Interessen zu hegen, ähnliche Erfahrungen gemacht zu
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