Die Liebe atmen lassen
haben, mit den gleichen Schwierigkeiten befasst zu sein. Vertrauen wächst und gedeiht auf dem Boden sorgsam behandelter Beziehungen, die ihre Tragfähigkeit im Laufe der Zeit unter Beweis stellen. Es geht einher mit Gewohnheit, Selbstverständlichkeit, Zuverlässigkeit, Beharrlichkeit, Nachhaltigkeit, Berechenbarkeit, Wahrhaftigkeit, durchschaubaren Entscheidungsprozessen und einer Entsprechung von Worten und Taten, Behauptungen und Tatsachen. Wenn Regeln, Absprachen und Verabredungen eingehalten werden, nicht nur einmalig, sondern wiederholte Male, verfestigt sich Vertrauen, und wenn nicht, eben nicht. So kann Vertrauen zum Medium werden, das die Verhältnisse zwischen Menschen regelt und ihre persönliche Entwicklung fördert.
Als entscheidend erweist sich, dass Vertrauen vorzugsweise mit der Zeit entsteht: Es braucht Geduld und Ausdauer , um Anlass zur Vermutung zu geben, dass vertraut werden kann, und die Gewissheit zu vermitteln, dass aus vergangenenErfahrungen auf künftige geschlossen werden darf. Das sind allerdings Elemente, die von der Grundstruktur der Moderne gerade nicht begünstigt werden: Die stetige Ablösung des Alten durch das Neue und Neueste, das zwangläufig unbekannt und somit beunruhigend ist, führt eher zum strukturellen Verlust von Vertrauen; daher die signifikante Konjunktur des Misstrauens , die mit dem Prozess des Fortschritts einhergeht und eine verzweifelte Reaktion hervorruft: Nämlich wider besseres Wissen blind zu vertrauen, mit fatalen Folgen, wenn das Vertrauen enttäuscht wird. Misstrauen ist keine Erfindung der Moderne, es ist ein altes Phänomen, das lediglich von Zeit zu Zeit seine Erscheinungsform variiert (Ute Frevert, Vertrauen , 2003). War es einst die Willkür der Macht und mitunter auch des Rechts, die misstrauisch machte, so ist es in der Moderne die unablässig drohende Veränderung, die dafür sorgt, dass auf bewährte Verhältnisse, die aus Erfahrung Vertrauen verdienen, nicht mehr gebaut werden kann: Schon morgen wird alles wieder ganz anders sein.
Auch die Beziehung zwischen zweien ist nach der Befreiung von Zwängen der Religion, Tradition und Konvention kein Bund fürs Leben mehr, nur noch einer »bis auf Weiteres«. Selbst die eigene Haustür ist nach der Auflösung vormoderner Vertrauensverhältnisse kein Zugang zur Welt mehr, der immer offen stehen kann, sondern die hochgezogene Zugbrücke der heimischen Burg gegen die anonyme Bedrohlichkeit der modernen Zeit. Alle Versuche, Vertrauen zu schaffen, finden an den Markierungen dieser Zeit ihre Grenzen, auch wenn mit systemimmanenter Notwendigkeit immer neue flehentliche Appelle erforderlich werden, doch Vertrauen zu haben: In die Liebe, die Politik, die Marktwirtschaft, die Konjunktur, die Zukunft, die Redlichkeit von Unternehmen, die Technik, diegentechnisch veränderten Lebensmittel ... Die Dringlichkeit der Appelle und ihre schiere Zahl vermitteln einen Eindruck davon, welche Bedeutung dem Vertrauen zukommt – und wie schwierig es zu haben ist: Vertrauen wird zur knappen gesellschaftlichen Ressource.
Wo so viele vertraute Beziehungen zerbrechen, leidet auch die des Einzelnen zu sich selbst. Das moderne Problem fehlender Beharrung und somit mangelnden Vertrauens gräbt sich tief in das Individuum ein und wird in ihm selbst am stärksten erfahrbar. Die misstrauische Selbstüberwachung, die im Laufe der abendländischen Kulturgeschichte erlernt worden ist, verstärkt diesen Effekt noch. Lange konnte das Selbstvertrauen eines Menschen eine Funktion seines Gottvertrauens sein, so lange nämlich, wie er sich als Kind Gottes verstehen konnte, von ihm akzeptiert, in welcher Verfassung auch immer, von ihm geführt, wohin auch immer. Aufgrund des Befreiungsprojekts aber steht dem modernen Menschen dieser metaphysische Rückhalt nicht mehr zur Verfügung, und sobald der Überhang an traditionellem Vertrauen, der aus vormoderner Zeit noch weit in die Moderne hineinragt, abbricht, stürzt er ins Nichts. Eine Identität , ein Sich-selbstgleich-Bleiben, wie es unter vormodernen Bedingungen noch ohne Weiteres möglich war, wird in der modernen Zeit des Immerneuen von Grund auf unmöglich. An ihre Stelle tritt das Paradigma der Flexibilität , der Veränderung, die ständig stattfinden muss und dem Einzelnen abverlangt, sich den je aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Das aber hat zur Konsequenz, selbst nicht mehr so recht zu wissen, wer oder was das eigene Selbst ist, sich selbst nicht mehr vertrauen zu können, und in der
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