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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Folge kommen auch vertrauensvolle Beziehungen zu Anderen nicht mehr zustande.
    Der Ansatzpunkt zu einer Stärkung des Vertrauens auf dem Weg in eine andere Moderne ist jedoch ebenfalls beim eigenen Selbst zu finden, schon weil ich nicht über Andere, nur über mich selbst umstandslos und ohne Verzug verfügen kann. Bei aller Veränderung kann ich Punkte meiner Beharrung definieren und zwischen den widerstreitenden Ichs im eigenen Inneren vertrauensvolle Beziehungen neu begründen: So entsteht anstelle der in maximaler Flexibilität verlorenen Identität eine verlässliche Integrität , die die erforderliche Festigkeit meiner selbst verbürgt, grundsätzlich veränderbar, ohne ständig verändert zu werden, mit mehr Raum für unterschiedlichste Aspekte als bei einer Identität, die ja nicht von ungefähr immer »multipler« werden muss. Selbstvertrauen entsteht dort, wo Selbstgewissheit ist, Selbstgewissheit dort, wo ein klar definiertes Selbst ist, das seine inneren Zusammenhänge bewahrt, um sie von Zeit zu Zeit neu zu überdenken. Mit der Einübung entsprechender Gewohnheiten kann ich meine eigene Zuverlässigkeit und Beharrlichkeit stärken, um sie dann auf die Beziehungen zu Anderen zu übertragen. Mit wachsendem Selbstvertrauen wächst die Fähigkeit, Anderen zu vertrauen und deren Vertrauen zu gewinnen; die Gefahr der Abhängigkeit vom Vertrauen Anderer verringert sich, und das Vertrauen, das mir von Anderen entgegengebracht wird, findet nun den nötigen Gegenhalt: Ich kann es aushalten, dass mir vertraut wird, und empfinde es nicht mehr als unerträgliche Last, der ich mich nicht gewachsen fühle.
    Alle Arbeit an mir selbst und an Beziehungen der Liebe, der Freundschaft und der Kooperation zielt darauf, den Anteil vertrauensvoller Verhältnisse in meinem Leben zu vergrößern, und sinnvoll erscheint auch, das funktionale Vertrauen darauf, dass Menschen zuverlässig ihre Funktion erfüllen, inein menschlich zugewandtes, kooperatives Vertrauen zu verwandeln, wo immer es möglich ist, schon weil vieles dann besser funktioniert. Niemand will gerne als bloße Maschine wahrgenommen werden. Mit einer Stärkung des menschlichen Vertrauens ist das Misstrauen, das die Moderne systematisch produziert, auf ein lebbares Maß zu reduzieren, und es wird deutlich, wie verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden kann: Nicht in einem einzigen Moment, nur mit längerem Atem, beginnend bei der Arbeit an mir selbst, die mein Wohlwollen für Andere, dann deren Wohlwollen für mich wieder möglich macht. Ich will Anderen wohl, indem ich mich um Verständnis für ihre Sichtweisen bemühe und ihnen wiederholt gerade dort entgegenkomme, wo es ihnen besonders wichtig ist. Vertrauen entsteht neu, wenn die Arbeit daran als eigene Aufgabe begriffen wird, die ebenso viel Aufmerksamkeit beansprucht wie jede andere Arbeit. Und diese Arbeit endet nie, denn Vertrauen wird nicht ein für alle Mal erworben; ein angehäuftes »Vertrauenskapital« kann, wie jedes andere Kapital, jederzeit wieder verspielt werden.
    Und doch kann es nicht um das Ideal völliger Vertrauensseligkeit gehen, nicht mir selbst gegenüber und auch nicht in Beziehungen zu Anderen, um mich und Andere nicht ins Gefängnis eines blinden Vertrauens einzuschließen, das keinerlei Abweichung, keine neuen Aspekte, keine überraschenden Entwicklungen mehr erlauben würde. Mit einem allzu großen Vertrauen öffne ich nur dessen Missbrauch Tür und Tor, denn dem, der nie misstraut, kann alles zugemutet werden. Ungute Entwicklungen, die keiner gewollt hat, werden ausgerechnet von guten Menschen befördert, die keinerlei Argwohn hegen, am wenigsten gegen sich selbst. Der Sinn des Misstrauens erschließt sich, wenn es für einen Moment »weggedacht« wird:Wäre es wirklich ein besseres Leben, eine bessere Welt, wenn es keinerlei Misstrauen gäbe, wenn alle Menschen sich und Anderen stets vertrauen könnten und niemand gegen niemanden etwas im Schilde führte; wenn es gar ausgeschlossen wäre, jemals hintergangen zu werden? Es würde wohl ein Leben ohne jede Spannung sein, eine harmlose, langweilige Welt, die zugleich sehr bedroht wäre: Die kleinste Irritation könnte unversehens und unverhältnismäßig auf den Zusammenhalt des Ganzen durchschlagen. Die Kontrasterfahrung, die den Wert des Vertrauens erst fühlbar macht, würde ersatzlos entfallen. Die Kreativität, zu der keineswegs nur das Vertrauen, sondern auch das Misstrauen antreibt, würde versiegen, ebenso die

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