Die Liebe atmen lassen
gesellschaftliche Leben in Bewegung. Strapazieren sie im Gegenteil das Maß an Bewegung über, setzen sie von selbst wieder auf Beharrung und unterlaufen weitere Veränderungen. Aber nicht nur das Verhältnis zu sich und Anderen steht dabei auf dem Spiel, sondern auch das ganzer Kulturen zu sich und anderen Kulturen. Die moderne Kultur trägt den Konflikt zwischen Veränderung und Beharrung in sich aus und nötigt nichtmoderne Kulturen zur Veränderung, die sich wiederum mit sturer Beharrung dagegen zur Wehr setzen. Ein Grund für die aufbrechenden Konflikte zwischen den Kulturen liegt darin, dass sie sich auf den Tod voneinander bedroht sehen, statt ihre Gegensätze als belebende Spannung in einem Spiel mit verteilten Rollen zu verstehen, um bei einem Übermaß an Beharrung selbst der Veränderung Raum zu geben, bei einem Übermaß an Veränderung aber der Beharrung. Für das Leben Einzelner und ganzer Kulturen kommt es darauf an, einerseits der Gefahr der Erstarrung in der Beharrung ohne jede Veränderung, andererseits der Gefahr der Auflösung jeder Festigkeit in ständiger Veränderung zu entgehen. Die einseitige Hochschätzung der Veränderung wird vor allem dannproblematisch, wenn es um die Begründung und Bewahrung von Vertrauen geht, das an die Fähigkeit zur Beharrung gebunden ist. Schwindet das Vertrauen, setzt die hektische Suche danach ein, bei der allzu leicht wiederum das atmende Maß zwischen Vertrauen und Misstrauen aus den Augen verloren wird.
Vertrauen und Misstrauen:
Zur Bedeutung der Vorsicht in Beziehungen
Vertrauen und Misstrauen scheinen zwischen den verschiedenen Arten von Beziehung klar verteilt zu sein: Die bejahenden Beziehungen der Liebe, der Freundschaft und der Kooperation leben vom Vertrauen, die gleichgültigen oder verneinenden der Funktionalität, der Auseinandersetzung und des Ausschlusses hingegen vom Misstrauen. Wo ein Mindestmaß an Vertrauen möglich ist, kann es mehr Kooperation geben, die Kommunikation fällt leichter und Kontrollen können entfallen, sodass den Beteiligten vielfältigere Möglichkeiten des Lebens und Beziehungslebens, größere Bewegungsspielräume im Körperlichen, Seelischen und Geistigen zur Verfügung stehen. Wo hingegen nicht der kleinste Lichtblick an Vertrauen sich zeigt, wird das Leben schwer, der Bewegungsspielraum klein; jede bejahenswerte Form von Gemeinschaft, Gesellschaft, auch von Wirtschaft löst sich auf. Eingeschlossen in ein Verlies, in dem jeder ständig vor jedem auf der Hut sein muss, sind alle damit beschäftigt, sich wechselseitig zu verdächtigen, zu kontrollieren und zu verfolgen. Wie eine Welt ohne jedes Vertrauen aussähe, ist bei dessen Irritation schon zu ahnen und zu fürchten. Und doch kommt gerade dort, wo in hohem Maße auf Vertrauen gesetzt wird,auch das Misstrauen ins Spiel, ausgelöst von der kleinsten Unstimmigkeit. Umgekehrt fällt gerade dort, wo eigentlich das Misstrauen vorherrscht, schon der kleinste Vertrauensbeweis ins Gewicht, und ausgerechnet in gleichgültigen, funktionalen Beziehungen kann auf das zuverlässige Funktionieren von Menschen, Dingen und Systemen vertraut werden. Das Vertrauen scheint eine komplizierte Angelegenheit zu sein.
Was ist Vertrauen? Sich auf Andere, auf Dinge und Verhältnisse verlassen zu können; darauf hoffen zu dürfen, dass vor allem die Macht, die Andere ausüben können, nicht missbraucht wird, und dass dem eigenen Selbst und vertrauten Anderen nichts Schlimmes widerfährt, wenn aber doch, dass es gut zu bewältigen ist. Auf dieser Basis können Menschen sich in Beziehungen heikle und intime Dinge anvertrauen, ohne einen Missbrauch des Wissens darüber befürchten zu müssen. Aber wem kann ich vertrauen und wem nicht? Diese Frage durchzieht das gesamte Leben, berührt sämtliche Bereiche und Ebenen des menschlichen Umgangs miteinander und bezieht sich auf Personen wie Institutionen gleichermaßen, auf Liebende, Freunde, Eltern und Kinder, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Manager und Mitarbeiter, Kollegen untereinander, Produzenten und Konsumenten, Bankberater und ihre Kunden, Ärzte und ihre Patienten, Kirchen und ihre Mitglieder, Parteien und ihre Wähler, Medien und ihre Nutzer, Staaten und ihre Bürger; und aufs Neue stellt sich die Frage bei Begegnungen und Informationen im virtuellen Raum. Selbst dann, wenn grundsätzlich vertraut werden kann, verlangt die Frage nach weiterer Spezifizierung: In welcher Hinsicht kann ich vertrauen, in welcher nicht? Denn auch der eigentlich
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