Die Liebe atmen lassen
bedeutsam vordrängt, lässt sich auf diese Weise wieder relativieren. Sich dem scheinbar Nichtigen mit einer Ernsthaftigkeit zu widmen, als hinge das Leben davon ab, macht Sinn, denn es hängt tatsächlich davon ab. Männer, die das negieren, geraten in schwierigen Lebenssituationen weit eher als Frauen in Gefahr, sich selbst zu verlieren.
Im Hinblick auf einen möglichen, transzendenten Sinn über das Leben hinaus neigen Männer dazu, nach dem Woher und Wohin des Lebens überhaupt zu fragen. Eine Antwort daraufsollte möglichst wissenschaftlich belegt sein, kann aber auch dogmatisch festgelegt werden; gibt es keine definitive Antwort, welche auch immer, kommt Verzweiflung auf. Frauen hingegen pflegen, wenn denn der Sinn überhaupt über das Leben hinausreichen muss, eine diffuse Metaphysik , für die Wissenschaft und Dogmatik wenig bedeutsam sind. Aufgrund ihrer grundsätzlichen hermeneutischen Offenheit können Frauen sich viele Möglichkeiten einer Transzendenz vorstellen, die überdies nicht im Widerspruch zum Sinn der Sinnlichkeit und anderen Ebenen stehen müssen, sodass das Sinnpotenzial voll ausgeschöpft werden kann. Die Unterschiede zeigen sich beim Blick in die Sterne: Männer bevorzugen den astronomischen , Frauen den astrologischen Blick. Mit ihrer Haltung, die einigen Eigensinn auch im Rahmen einer organisierten Religion behauptet, leben Frauen dem religiösen Sinn nach und stärken, wie Maria, »das Eine, das not tut« (Lukas 10,42). Die Religionsgeschichte wäre ärmer ohne ihre religiöse Begeisterung, und in Religionsgemeinschaften, in denen Männer sich die priesterliche Funktion vorbehalten, sind es oft Frauen wie Marias Schwester Martha, die mit ihrem pragmatischen Einsatz den Alltag der Gemeinden organisieren und lebendig erhalten.
So anders sind Frauen, dass Männer zuweilen an ihnen verzweifeln, insbesondere dann, wenn die Männer Philosophen sind und Frauen zu ergründen suchen: Das ist das Sujet des Romans La Noia von Alberto Moravia, 1960 erschienen, 1998 verfilmt von Cédric Kahn ( L’Ennui , deutscher Titel: Meine Heldin ). Sie , die 17-jährige Cecilia, im Film gespielt von Sophie Guillemin, erscheint als Inbegriff der Erotik, aber das langweilt ihn , den etwa 40-jährigen philosophierenden Maler Dino, der im Film zum Philosophielehrer Martin (CharlesBerling) wird. Bis er, der sich doch zu allem und jedem auf Distanz hält, schließlich heillos betört ist von ihrer Ausstrahlung, die sich fast mit Händen greifen, aber nicht so recht begreifen lässt. Gerne würde er mit ihr einen geordneten Diskurs führen, mit Argumenten, über deren Stichhaltigkeit er selbst entscheiden würde, aber um keinen Preis ist sie dazu bereit: Diskurs ist Differenz, Unterschied der Meinungen, Zwang zur Festlegung. Ihr Diskurs ist sinnlicher Natur, und sie inkarniert selbst die Sinnlichkeit in üppiger Fülle, immer und überall bereit, zum Akt zu werden, um die Aktualität und sonst nichts zu feiern.
Er verlangt nach Gründen, die er mit seiner Logik fassen kann, aber sie liefert ihm keine Gründe und weigert sich, darüber auch nur nachzudenken: »Was nützt das denn, etwas zu denken?« Er will Wahrheit. »Welche Wahrheit?«, fragt sie. Nur Männer glauben an die Wahrheit, Frauen an das Leben, das seine eigene Wahrheit kennt: Alles ist möglich und kann wirklich werden, was aber wirklich wird, ist vergänglich, ohne dass es einer Erinnerung würdig wäre, denn das würde wiederum eine Differenzierung der Zeiten erfordern, zu der Cecilia nicht bereit ist. Sie repräsentiert die Unschuld, die zeigt, dass es auch Schuld nur dort geben kann, wo es Differenz gibt. Ein Leben in vollkommener Identität und Indifferenz führt diese junge Frau und nötigt ihr Gegenüber zu einer Antwort auf die Frage: Ist es wichtiger, ein Philosoph oder ein Liebhaber zu sein? Er sucht beides miteinander zu verknüpfen und Wahrheit im Vollzug des erotischen Aktes zu finden. Mangels Sättigung steigert sich sein Bedürfnis danach ins Unerträgliche und gestattet ihm keine Erholung mehr, bis die Lust in Unlust, dann in Schmerz umschlägt und der Tod durch Auszehrung droht. Zuletzt will er die ominöse Wahrheit mit allenMitteln erzwingen, aber selbst die Gewalt, die er der Heldin antut, lockt sie nicht in die Falle der Differenz, die das Ende der ihr eigenen Existenz wäre. So obsiegt sie immer, ohne dass ihr etwas daran läge, während er zum Opfer seiner Maßlosigkeit wird, von den Lüsten hinweggespült, mit denen er nicht
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