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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Selbstbestimmung dazu missbraucht, sich doch wieder in vorgegebene Rollen zu fügen, somit eine heteronome Frau zu sein (Eva Herman, Das Eva-Prinzip , 2006). Zwischen den Extremen ist immerhin viel Platz für Mixturen und Abstufungen; prinzipiell möglich ist auch, tolle Geliebte und fürsorgliche Familienmutter zu sein und damit dem mutmaßlichen männlichen Idealbild einer Frau sehr nahe zu kommen. Manche Frau fühlt sich aber hin- und hergerissen zwischen den Extremen und lebt phasenweise die eine oder andere Seite aus, nicht immer mit demselben Gegenüber, oft mit beträchtlichen Irritationen bei denen, die mit den Folgen zu tun haben: So mancher Mann glaubte schon, sich häuslich einrichten zu können, bis die Frau, mit der er lebte, noch andere Seiten in sich entdeckte, beeinflusst von Biologie und Kultur, aber auch aus individuellem Entschluss, der eine Seite abmildern oder forcieren kann.
    Als Stärke vieler Frauen erscheint grundsätzlich das Gespür , das aus Wahrnehmung, sehr viel Erfahrung und der Besinnung auf Erfahrungen hervorgeht. Aufmerksamer als Männer nehmen sie die alltäglichen Kleinigkeiten wahr, auf die es im Lebensvollzug so oft ankommt, kultivieren den Blick fürDetails und sehen etwa die Blumen sofort, die ein Mann trotz angestrengten Hinsehens ohne Weiteres übersehen kann. Aufmerksam zu sein, ist die Grundlage dafür, angemessener geben und schenken zu können, denn das beste Geschenk ist aus guten Gründen eine »Aufmerksamkeit«, die zum Beschenkten passt. Und geradezu staunenswert ist aus männlicher Sicht, was mit dem Gespür einhergeht: Die Fähigkeit zur Einfühlung , zur Empathie, zum Perspektivwechsel, der wie von selbst vollzogen wird, um in Erfahrung zu bringen, was im Anderen vorgeht, wie etwas bei ihm ankommt, was er jetzt braucht; eine starke Zuwendung zum Anderen wird auf diese Weise möglich. Dass Frauen so häufig und ausgeprägt über diese Fähigkeit verfügen, könnte mit ihrer Möglichkeit zur Weitergabe von Leben zu tun haben, denn ein neues Leben ist existenziell auf ihr Einfühlungsvermögen angewiesen, und da diese Möglichkeit immer präsent ist, sind Frauen seltener als Männer in der Lage, die Haut eines Anderen auch nur anzuritzen. Ein Grund für die bessere Einfühlung kann ebenso die historische Erfahrung sein: Benachteiligte und Unterdrückte, zu denen Frauen lange gehörten, sind aus Überlebensgründen dazu gezwungen, ein solches Vermögen stärker auszubilden als Privilegierte und Herrschende, die seiner nicht zu bedürfen glauben – ein fataler Irrtum, der ihre Macht im Laufe der Zeit untergräbt.
    Der Komplexität des Lebens, erst recht des sozialen Lebens und Familienlebens, scheint das vernetzte Denken besser entsprechen zu können, das ein Element weiblichen Daseins ist: Es erlaubt, sich mehreren Dingen zugleich zu widmen, scheinbar mühelos zwischen ihnen hin- und herzuspringen, während das unter Männern weit verbreitete fokussierte Denken eher die Konzentration auf Eines erlaubt. Es ist wohl aucheher männlich, in Gegensätzen zu denken, während Frauen das Sowohl-als-auch naheliegt, das allerdings Unterschiede zwischen einem »So« und einem »Auch« voraussetzen muss, die zuweilen Gegensätze sein können. Frauen haben mehr Sinn für Dinge, die teils so, teils anders sind; sie scheinen mit Unklarheiten, wie das Leben sie liebt, besser zurechtzukommen. Männer setzen, jedenfalls seit Kant, gerne auf das Apriorische , das vorweg aus dem Denken Gewonnene, Frauen eher auf das so genannte Aposteriorische , das »Danachkommende«, also auf die Erfahrungen, die sie machen, und die Schlüsse, die sie daraus ziehen. Anstelle des Prinzipiellen, wie etwas eigentlich sein sollte, ist ihnen das Pragmatische wichtiger, das unter den gegebenen Umständen machbar ist. Behalten Männer eher das abstrakte Allgemeine, allgemeine Theorien, Gesetze und Regeln im Blick, so Frauen lieber das Individuelle und Einzelne in seiner Eigengesetzlichkeit.
    Das ontologische Interesse gilt bei Männern vorzugsweise den uferlosen Möglichkeiten, die über alle Grenzen hinaus »auszutesten« sind (daher die Vorliebe für Science-Fiction und Fantasy ), bei Frauen hingegen eher der vorherrschenden Wirklichkeit, deren »Normalität« ihnen nicht als Nichtigkeit erscheint. Machen Männer sich dann auf den Weg, den sie glauben, gehen zu müssen, meiden sie Umwege, denn sie wollen straight leben, kraftvoll voraus, ohne Rücksicht auf Verluste, am allerwenigsten bei sich selbst.

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