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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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ermöglicht. Ein starkes Verhältnis unterhalten viele Frauen zum Tastsinn, daher der Wunsch nach Berühren und Berührtwerden, nach körperlicher Nähe und Umarmung. Dem Bedürfnis nach Berührung folgen sie häufiger als Männer, holen sich das erforderliche Quantum notfalls bei Anderen (daher der häufige Gang zum Friseur) und nutzen für die Selbstberührung die Künste der Kosmetik (daher das häufige Schminken). Mit dem Körpersinn ihres »Bauchgefühls« verfügen sie über ein Sensorium für Zusammenhänge, das viele Männer ungern wahrhaben wollen. Und sie achten darauf, den Sehsinn wachzuhalten und ihre Umgebung ansehnlich zu gestalten, mit einer ostentativen Liebe zu schönen Dingen, ohne nach deren Nützlichkeit zu fragen. So verstehen sie sich eher als Männer darauf, sich das Leben »schön zu machen«, also Bejahenswertes zu finden und wenigstens für Momente Situationen zu schaffen, in denen das Leben zu genießen ist, Momente, die andere Zeiten ausbalancieren können. Mit ihrem ausgeprägten Sinn für die gelegentliche Verlangsamung und ziellose Ritualisierung des Lebens fällt es ihnen leichter, aus einer zielgerichteten Anstrengung für eine Weile »herauszuspringen«, sich zu erholen, neu zu orientieren und auch wieder anderen Ideen zu öffnen: Größere Fähigkeit des Lassens, somit der Gelassenheit.
    Jede erdenkliche Aufmerksamkeit widmen Frauen dem seelischen Sinn der gefühlten Beziehungen zu Anderen. Sie erfahren sich vorzugsweise im Austausch mit Anderen, während Männer eher sich selbst fordern müssen, um sich zu spüren. Zu seelischer Zuwendung fähig und umgekehrt ihrer bedürftig sind die Geschlechter wohl in gleicher Weise, beide erfahren gerne Bewunderung für ihre Stärken und Nachsicht für ihre Schwächen; weniger als Männer scheuen Frauen sich jedoch davor, das auch zu zeigen. Während es Männern naheliegt zu sagen: »Das ist nicht mein Problem«, sind Frauen bereit, Probleme Anderer als eigene zu sehen, sich um eine Lösung zu bemühen und Anderen auf diese Weise sehr viel Hilfe zukommen zu lassen, zuweilen bis zur Selbstaufgabe; aber sie suchen auch eher , anders als viele Männer, ihrerseits Hilfe bei Anderen. Der Beziehungsaspekt ist so zentral in ihrem Leben, dass sie sehr darunter leiden können, wenn in einer Beziehung »etwas nicht stimmt«. Sie denken in Beziehungen und pflegen sie vor allem in Gesprächen; daher der endlose Gesprächsbedarf, für den thematische Belanglosigkeit, wie Männer sie aus ihrer Sicht zu erkennen glauben, kein Hinderungsgrund ist. Eine anfängliche Unverbindlichkeit garantiert die Freiheit des Anderen und bindet ihn nicht vor der Zeit schon in ein commitment ein. Frauen sehen auch kein Problem darin, dass ein Austausch zuweilen darauf hinausläuft, wechselseitig nur Selbstgespräche zu führen: Der Austausch ist eine Variante des Gesprächs mit sich, das nötig ist, um sich immer wieder neu zu finden. Nicht wenige Männer hingegen neigen dazu, Gespräche weder mit sich noch mit Anderen zu führen; so staut sich vieles in ihnen an, während Frauen Äußerungen habituell zur Entlastung ihres Inneren nutzen.
    Für die geistige Sinnstiftung bevorzugen Frauen die Form derErzählung, also narrativen Sinn, während es Männern eher um logischen und insbesondere teleologischen Sinn geht: Die Ausrichtung auf ein Ziel ist entscheidend, und dem jeweiligen Ziel kommt aus ihrer Sicht so herausragende Bedeutung zu, dass alles Andere demgegenüber nichtig erscheint. Aus weiblicher Sicht wiederum macht es keinen Unterschied, ob etwas nichtig oder bedeutsam ist, denn das Bedeutsame ist oft in scheinbaren Nichtigkeiten verborgen, und wichtig ist, dass sich davon erzählen lässt. Besser als Männer verstehen Frauen, dass gerade Nichtigkeiten Menschen zusammenführen können, da sie die Zugangsschwelle zueinander niedriger halten als große Sprüche, Ansprüche und Anmaßungen. Sich ausgiebig mit den scheinbaren Nichtigkeiten des Lebens zu beschäftigen, die ohnehin nicht zu umgehen sind, hat außerdem den Vorteil, anhand ihrer Überschaubarkeit wieder Orientierung im undurchdringlichen Dickicht des Lebens zu gewinnen. So bleibt gerade in schwieriger Zeit immer etwas zu besprechen und zu tun. Das Nichtige gibt Halt, daher das hingebungsvolle Interesse für die aus männlicher Sicht so sinnlosen Details des Alltagslebens: Welchen Farbton soll der Lippenstift, welchen sollen die Schuhe haben, und was wollen wir heute Abend essen? Was immer sich als allzu

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