Die Liebe atmen lassen
pflegen, vielleicht beginnend, nicht endend, mit der ungestörten Zeitungslektüre am Morgen?
6. Was ist meine Angst , die einfach da ist, die Verletzung, die ich erfahren habe, gar das Trauma, an dem das männliche (wie das weibliche) Selbst anhaltend leiden kann? Diese Seite des Selbst ausschließen zu wollen, liegt nahe, kostet jedoch unsinnig viel Kraft und ist letztlich ohnehin vergeblich; daher der Versuch, einen Teil des Selbst darin zu sehen, um alle Kraft dafür übrig zu haben, gut damit zurechtzukommen.
Hilfreich ist dabei 7. das betörend Schöne , an dem das männliche (wie weibliche) Selbst auf je spezifische Weise sein Leben orientieren kann: Was sind die Momente, Anblicke, Arbeiten, Spiele, Lüste, Gespräche, Gedanken, zu denen ich vorbehaltlos »Ja« sagen kann, die sehr viel Sinn vermitteln und somit zu einer Quelle von Kraft werden, mit der mühelos auch größte Schwierigkeiten zu bewältigen sind?
Sich selbst treu zu sein heißt, an all diesen Punkten festzuhalten, auch wenn sie grundsätzlich veränderbar sind, und damit Ecken und Kanten auszubilden, an denen Andere »einhaken« können. Das Selbst, das ein definiertes Verhältnis zu sich unterhält, ist gerade aus diesem Grund auch zu definierten Verhältnissen zu Anderen in der Lage. Die Stärkung des Selbst führt zu einem Selbstbewusstsein , das von innen kommt, nicht mehr nur von außen über sozialen Status, Job, damit verbundenes Einkommen, Besitzverhältnisse und insbesondere den Besitz von Technik. Dieses Selbst bedarf keiner übermäßig stolzen Selbstbehauptung mehr und ist zu weitreichendenZugeständnissen an Andere in der Lage. Das Machtbedürfnis, das durch Selbstmächtigkeit befriedigt werden kann, muss fortan weniger heftig nach außen gewendet werden. Und wer mit sich befreundet ist, kann auch Anderen ein Freund sein.
In einem zweiten Schritt, der auf die Arbeit an sich selbst folgt, konzentriert sich die Arbeit an Freundschaft auf starke Beziehungen zu Anderen, die zu gründen und zu pflegen sind. Nur in nichtmodernen Kulturen kann die Pflege der Freundschaft noch eine fraglose Selbstverständlichkeit sein, in modernen Kulturen aber ist eine Arbeit daraus geworden, die eine bewusste Wahl erfordert und doch ganz unverzichtbar ist: Mit dem wahren Freund können die Gespräche geführt werden, auf die so viel ankommt, die »tieferen« Gespräche, in denen es darum geht, das Leben zu deuten und zu interpretieren. Kleine und große Lebensfragen sind miteinander zu besprechen, Geschehnisse, Begegnungen und Erfahrungen hin- und herzuwenden und Schlüsse daraus zu ziehen: Welche Erfahrungen sind wie einzuschätzen? Welche verborgenen Zusammenhänge lassen sich bei einer Sache ausfindig machen? Welche Argumente können für und gegen eine Wahl aufgeboten werden? Welchen Werten soll welche Bedeutung beigemessen werden? Was ist wirklich wichtig im Leben? Was ist schön, was bedeutet Glück, was macht Sinn, was nicht?
In einem dritten Schritt tut sich das weite Feld der Familienarbeit auf, an der jedenfalls dann kein Weg vorbeiführt, wenn es Familie überhaupt noch geben soll, die vom Verfall der Beziehungen infolge moderner Befreiung im Kern getroffen worden ist. Familie existiert nicht mehr aufgrund religiöser, traditioneller und konventioneller Vorgaben, sondern nur noch aufgrund einer freien Wahl der Beteiligten, für die gute Gründe sprechen können, denn Vertrautheit undGeborgenheit, die Erfahrung von Liebe und die Weitergabe von Leben, die als schön und bejahenswert empfunden werden kann und keine bloße Pflichterfüllung mehr sein muss, sind am ehesten im Rahmen einer Familie zu verwirklichen. Familienarbeit heißt, die engsten Beziehungen zu pflegen, das immer schwierige Zusammenleben zu koordinieren, den gemeinsamen Rhythmus fürs Leben zu finden, Kinder zu erziehen, den familiären Alltag zu bewältigen, die lästigen Hausarbeiten zu erledigen. Männer haben hier einen gewissen Nachholbedarf und sind nicht immer darauf gefasst, dass die Familienarbeit nach einer ganz anderen Logik funktioniert als die Erwerbsarbeit. Aber die Mühe, die sie macht, wird reich belohnt: Menschen, die in familiären Bindungen leben, stellen sich in aller Regel die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht mehr; das Leben in Familie ist der Sinn, nicht der einzig mögliche, aber einer, der nur mit Mühe anderweitig zu erreichen ist.
Über die Familie hinaus ist die gesamte Gesellschaft von der modernen Auflösung von Beziehungen infolge von
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