Die Liebe atmen lassen
kein Gott, verletzlich, nicht unverletzlich, zuweilen machtlos, nicht allmächtig, älter werdend, nicht alterslos, sterblich, nicht unsterblich. Mit einer Selbstbefreundung sind die gegensätzlichen Seiten im männlichen Selbst auszutarieren, etwa Denken und Fühlen, Zärtlichkeit und Zorn, Souveränität und Ängstlichkeit, Freiheitsdrang und Bindungsbedürfnis, männliche und weibliche Anteile. Durch die Selbstbefreundung können Körper, Seele und Geist so miteinander verschränkt werden, dass keine Ebene zu Lasten anderer dominiert.
Männer scheinen jedoch oft schon auf der körperlichen Ebene ein Problem mit sich zu haben (auf andere Weise auch Frauen, die selten mit ihrer körperlichen Erscheinungeinverstanden sind): Entweder kennen sie nur ihren Körper oder gerade den nicht. Viele sehen in ihm eine Art von Haustier , das weitgehend zu ignorieren ist (der Körper gehört nicht wirklich zu ihnen) oder aber zu parieren hat (er hat dienstbar zu sein, auch wenn ihm unsinnige Dienste abverlangt werden) oder nach Kräften verwöhnt wird (wehe aber, wenn er irgendwann »nicht mehr richtig funktioniert«). Kommen unangenehme Seiten des Körperlichen zum Vorschein, Unwohlsein, Schmerzen, Verletzungen, Krankheiten, neigen Männer dazu, Niederlagen darin zu sehen; lange übergehen sie die Symptome, bekämpfen sie dann wie Feinde – oder überhöhen sie hypochondrisch, damit riesenhaft erscheint, wovon das männliche Selbst in die Knie gezwungen wird.
Ein pfleglicher Umgang mit dem Körper würde erfordern, dessen Bedürfnis nach Bewegung Folge zu leisten, auch Ernährungsfragen nicht als belanglos abzutun und nicht für alle Zeiten Fleisch und Wurst für »männlich«, Gemüse, Salat und Obst für »weiblich« zu halten; schließlich die Sexualität pfleglich zu behandeln, die an Intensität gewinnt, wenn sie von der Einfühlung in den Anderen beflügelt wird und zugleich nicht immer allen Lebensinhalt allein verbürgen muss. Auf seelischer Ebene geht es um den pfleglichen Umgang mit Gefühlen , die im männlichen Selbst über längere Zeit hinweg eine Existenz im Verborgenen zu führen hatten, bevor sie infolge heftigen Gegensteuerns willkürlich ausgelebt werden mussten. Über ihre bloße Befreiung hinaus ist der Freiheit Form zu geben, das aber heißt, nicht nur die Impulse der Gefühle wahrzunehmen, sondern sie zuweilen, um ihrer Lebbarkeit willen, auch wieder einzudämmen. Und auf geistiger Ebene kommt es vor allem auf den pfleglichen Umgang mit Gedanken an, die sich mit »tiefer« gehenden Fragen beschäftigen: Was ist eigentlichLeben, Liebe, Glück, Sinn? Welche Bedeutung hat das jeweils für mich und mein Leben? Und wie kann ich mich auch mit »negativen« Gedanken anfreunden, etwa dem Gedanken an den Tod, statt die Beschäftigung damit als »unmännlich« abzutun?
Um nach der Befreiung des Selbst von alten Vorgaben nicht ewig auf der Suche nach dem verlorenen Selbst zu sein, bedarf es einer Selbstdefinition , einiger Festlegungen, die dem männlichen (wie dem weiblichen) Selbst dazu verhelfen, einen festen Kern zu gewinnen, mithilfe von Antworten auf diese Fragen:
1. Was sind meine wichtigsten Beziehungen der Liebe und der Freundschaft, über die ich mich definieren möchte? Neben der Liebe im engeren Sinne geht es dabei vor allem um Beziehungen der Freundschaft zwischen Männern (wie zwischen Frauen), in denen verständnisinnige Begegnungen möglich sind, frei vom Kräfte raubenden Spiel der Sexualität.
2. Was sind die wichtigsten Erfahrungen , die fester Bestandteil meiner selbst bleiben sollen? Dabei kann es sich um Erfahrungen der ersten Liebe und der tiefsten Enttäuschung handeln, um angenehme und weniger angenehme Erfahrungen des Mannseins (wie des Frauseins), die für den eigenen Lebensweg große Bedeutung gewonnen haben.
3. Was ist mein Traum , mein Glaube, mein bestimmter Weg und vielleicht mein Lebensziel, meine fixe Idee, meine Sehnsucht, die womöglich geschlechtstypisch geprägt ist?
4. Was sind die bestimmten Werte , die ich besonders schätzen und pflegen möchte, und welcher Wert soll im Zweifelsfall Vorrang haben, wenn ich etwa zwischen Freiheit und Bindung, Risiko und Sicherheit, Konsequenz und Nachgiebigkeit beim Gebrauch von Macht wählen muss?
5. Welche besonderen Charakterzüge will ich stärken, die mir männlich (oder weiblich) erscheinen: Geiz oder Großzügigkeit? Ungeduld oder Duldsamkeit? Zögerlichkeit oder Entschlossenheit? Und welche Gewohnheiten will ich sorgsam
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