Die Liebe atmen lassen
Befreiung bedroht. Umso größere Bedeutung gewinnt neben der Organisation des Privatlebens in einem vierten Schritt die Bürgerarbeit . Dass Individuen sich als Bürger wahrnehmen, sich als Teil der Gesellschaft verstehen und an deren Zusammenhalt arbeiten, ist ein Wesenszug der Demokratie und trägt zur Formgebung der Freiheit bei. Die entsprechende Arbeit umfasst bereits die Gestaltung der Begegnung mit Anderen im Alltag, diesen scheinbar banalen Aspekt der Bürgerarbeit, für den viele Männer sich gewohnheitshalber wenig interessieren. Wie begegne ich Anderen? Ein zur Schau getragenes Desinteresse, eine äußerliche Abweisung signalisiert ihnen schon von weitem, dass sie sich keinesfalls als Teilhaber amgesellschaftlichen Leben akzeptiert fühlen dürfen. Es liegt am Einzelnen selbst, seine Haltung zu ändern, womöglich auch die anspruchsvollere Arbeit eines sozialen Engagements zu übernehmen, um die Selbsthilfe und die Dienste zu organisieren, die weder Sache des Staates noch der Privatwirtschaft sein können. Es kann sich um zeitlich begrenzte oder dauerhafte Einsätze handeln, wie sie von Freiwilligenorganisationen vermittelt und traditionell vorwiegend von Frauen geleistet werden. Gerade diese Arbeit, die schlecht oder überhaupt nicht entlohnt wird, vermittelt erfahrungsgemäß sehr viel Lebenssinn und Sinn der Arbeit, wohl weil die Freiheit der Arbeit hier am stärksten erfahrbar ist.
Ins Blickfeld rückt schließlich in einem fünften Schritt die Muße als Arbeit , wenngleich der bloße Begriff schon paradox erscheinen mag. Aber für Männer, die ihr Mannsein allzu sehr auf Aktivismus festlegten, das Frausein im Gegenzug auf Passivismus , wird es zu einer eigenen Anstrengung, nicht nur die Aktivität, sondern auch die Passivität, nicht nur das Tun, sondern auch das Lassen als wesentliches Element des Lebens zu verstehen. Sich wenigstens versuchsweise gelegentlich darauf einzulassen, dient nicht etwa dazu, den Aktivismus aufzulösen, sondern ihn auszubalancieren und atmen zu lassen. Die Muße ist, ergänzend zum tätigen Leben ( vita activa ), die geistige Lebensweise ( vita contemplativa ), in der sich ein Nachdenken, Andersdenken, Überdenken, Neudenken entfalten kann, nicht zielorientiert, nicht nützlich im unmittelbaren Sinne und gerade aus diesem Grund eine unerschöpfliche Ressource an Kreativität, die der immer neuen Orientierung der Arbeit und des Lebens dient. Es war die Missachtung der Muße in moderner Zeit, die den Einzelnen um die erforderlichen Momente zur Besinnung brachte, sodass er Zusammenhängenicht mehr zu sehen vermochte; die Neubewertung der Muße wird dem Gewinn von Sinn förderlich sein.
In einem sechsten Schritt geht es ausdrücklich um die Arbeit am Sinn , die darin besteht, nach Zusammenhängen zu fragen und sie auch selbst herzustellen, im eigenen Selbst, in den Beziehungen zu Anderen und zur Welt, im gesamten Leben und womöglich darüber hinaus, auf den Ebenen des Sinnlichen, Seelischen, Geistigen und Transzendenten, von denen bereits mit Bezug auf die weibliche Lebenskunst die Rede war. Beibehalten werden kann für die Sinngebung die männliche Vorliebe für teleologische Zusammenhänge des Wofür und Wozu, um mit Blick auf ein nahes oder fernes Ziel, auf einen vorgegebenen oder selbstgesetzten Zweck hin leben und arbeiten zu können, ein Projekt zu realisieren und eine Aufgabe zu erfüllen. Sinn zu erfahren, ist wiederum der Wahrnehmung von Verantwortung förderlich, die vom Antworten lebt: Sich von Zusammenhängen mit einem Anderen, einer Situation, einer Herausforderung angesprochen zu fühlen und darauf zu antworten, nicht jetzt dies und dann jenes zu antworten, sondern auf kontinuierliche Zusammenhänge zwischen den Antworten zu achten, auch zwischen den Antworten und einem konkreten Tun, und sich am Tun nicht irgendwie, sondern so gut wie möglich und möglichst exzellent zu versuchen. Wer Sinn in familiären Zusammenhängen sieht, wird sich auch eher für sie verantwortlich fühlen; wer sich über den Sinn seiner Tätigkeit im Klaren ist, wird auch Verantwortung für ihre Konsequenzen übernehmen, ansonsten aber bestenfalls so tun, als ob, um den Schein zu wahren.
Eingebettet in die verschiedenen Arbeiten rückt in einem siebten Schritt schließlich die Erwerbsarbeit wieder ins Blickfeld. Nicht, dass sie unbedeutend geworden wäre, aber es istvon entscheidender Bedeutung, dass sie ihren Platz im Gesamtrahmen der Arbeiten findet, um geleistet werden zu können.
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