Die Liebe atmen lassen
dem Ball: Der vorgestellte Ball, die vorausgeahnte Liebe schweben unsichtbar und ungreifbar im Raum und offerieren vielerlei Möglichkeiten, sich auf sie zu beziehen, Versuche mit ihnen anzustellen und auch einen potenziellen Mitspieler dazu zu animieren – ein folgenloses Ausprobieren in diesem frühen Stadium, denn bei einem Scheitern kann jederzeit wieder von vorne begonnen werden. Die Unverbindlichkeit und der Spaß, die damit einhergehen, legen die Frage nahe: Kann nicht immer alles nur ein Spiel sein?
Der Umwerbende bedient sich einer umfangreichen Semiotik und Rhetorik der Liebe , einer Kunst der Zeichen , die zu setzen und zu entziffern sind, und einer Kunst des Redens , die mit Worten und Gesten zu überreden und zu überzeugen versucht. Dass der, der wirbt, seine Absichten gerne mit Zeichen, Worten und Gesten verschlüsselt , hat damit zu tun, dass er noch keine Wirklichkeit anbieten kann oder will: Er will nur auf Möglichkeiten hinweisen, die Wirklichkeit werden könnten. Der, der umworben wird, muss im Gegenzug entschlüsseln können: Was steckt dahinter, steckt überhaupt etwas dahinter? Nicht zwingend verweist ein Zeichen, ein Wort, eine Geste als Signifikant auf eine entsprechende Möglichkeit oder Wirklichkeit als Signifikat , Strukturalisten wie Ferdinand de Saussure machten darauf im 20. Jahrhundert eindringlich aufmerksam. Ein Zeichen der Liebe, das Wort »Liebe« selbst bietet keinerlei Gewähr für ein zugehöriges Potenzial oder gar eine Realität. Nicht nur in der Werbeindustrie verraten Zeichen, Worte und Gesten viel über die Bedürfnisse der Menschen, die mit den Angeboten angesprochen werden sollen, wenig über die tatsächlichen Inhalte der Dinge; daher die Dringlichkeit derFrage, was mit Zeichen, Worten und Gesten wirklich gemeint ist, und das Interesse an konkreten Taten, die auf sie folgen. Unabdingbar ist in allen Fragen der Liebe und des Lebens das geradezu gewohnheitsmäßige Auseinanderhalten von Signifikant und Signifikat, um nicht zum willfährigen Opfer flotter Sprüche und verführerischer Bilder zu werden. Dennoch ist das Spiel der Umwerbung unverzichtbar, denn wie sonst könnte ein Anderer auf eine interessante Möglichkeit aufmerksam gemacht werden? Alle Ebenen der Sinne, der Gefühle und der Gedanken stehen dafür zur Verfügung.
Auf körperlicher Ebene zielt die Umwerbung darauf, mit Reizen aller Art die Sinne des Anderen zu beeindrucken . Ein sehenswertes Schauspiel der Geschlechter in verschiedensten kulturellen Ausformungen ging daraus im Laufe der Geschichte hervor: Mit einem Feuerwerk an Sinneseindrücken malt der, der wirbt, schöne Bilder an den Himmel der Phantasie des Anderen, mit umso mehr Aussicht auf Erfolg, je überzeugender er dabei die Umkehrung der Menschheitsgeschichte, die Rückkehr ins Paradies, glaubhaft machen kann. Zwar wird die äußerliche Sinnlichkeit, die im Moment bedeutsam erscheint, mit dem Zustandekommen der Beziehung ihre tragende Funktion verlieren, während unscheinbare innerliche Eigenschaften allmählich an bindender Kraft gewinnen. Aber die Sinneseindrücke machen zumeist den Anfang, und dafür muss niemand sich schämen: Das anfängliche Augenmerk darauf ist tief in der Evolution verwurzelt, in der die Erfindung der Geschlechter und ihr Zueinanderfinden, ihr »Sich-Erkennen«, bessere Bedingungen für die größere Vielfalt des Lebens schuf (Gerald Hüther, Die Evolution der Liebe , Göttingen 1999, 92). Mit dem männlichen Blick für die Körpermaße einer Frau, dem weiblichen für das sichere, sympathischeAuftreten eines Mannes, sorgt die übrig gebliebene »Steinzeitpsyche« für Verhaltensweisen, die niemand sich wirklich überlegt hat, sondern staunend an sich selbst wahrnimmt.
Dass Männer im Laufe der Geschichte Frauen auf die passive Rolle des Umworbenwerdens festlegten, nötigte diese dazu, auf ihre Weise aktiv zu werden. Die Mittel, die sie seither einzusetzen lernten, legen beredtes Zeugnis davon ab, worauf Männer am ehesten »anspringen«: Bloße Zuckungen von Gesichtsmuskeln, ein verhaltenes Lächeln, schüchterne Blicke und scheinbar beiläufige Gesten können sie dazu ermuntern, ihrerseits aktiv zu werden und sich den Mut zur Initiative selbst zuzuschreiben. Als deutbare Zeichen eignen sich erst recht Duftnoten, Farben und Arrangements von Kleidungsstücken, Höhen von Rocksäumen, Designs von Schuhabsätzen, Körperhaltung und Hüftschwung: »Etwas in der Art, wie sie sich bewegt« ( Something in the way she moves
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