Die Liebe atmen lassen
Rande bleiben?
Die Idee einer Liebe, die allein auf Gefühle gründet, unterlaufen zu wollen, ist aussichtslos: Sie ist hart erkämpft worden in moderner Zeit. Aber eine Modifikation erscheint möglich, nämlich mit der Idee einer Liebe, die mit pragmatischer Romantik die Gefühle an der Wahl beteiligt, ohne ganz auf nüchterne Überlegungen zu verzichten. Andere Kulturen setzen auf die zeitliche Abfolge: Erst die Überlegung, dann die Gefühle, die sich irgendwie von selbst ergeben. Wer Gefühlen gar nichts zutraut, muss auf ihre wertvolle Motivationskraft verzichten. Wer auf Gefühle allein baut, muss damit zurechtkommen, dass sie gelegentlich pausieren oder ganz ausfallen, gerne auch ins Gegensätzliche kippen und mit fataler Regelmäßigkeit schwere Enttäuschungen verursachen: Die Betroffenen quälen sich dann noch für eine Weile weiter, hoffen herauszufinden, was sie »in Wahrheit empfinden«, um sich für odergegeneinander entscheiden zu können; schwierig wird es aber, wenn sie »gar nichts mehr empfinden« und andere Motivationsquellen nicht kennen.
Grundsätzlich tun die Liebenden gut daran vorauszusetzen, dass ihre Welten im Grunde himmelweit, toto coelo , auseinander liegen: Das fördert ihre Bereitschaft, nach Verknüpfungspunkten zu suchen und Brücken zu bauen. Gehen sie hingegen von größter Übereinstimmung aus, empfinden sie jede noch so kleine Lücke zwischen ihnen als großen Bruch, jede Abweichung des Anderen als Verrat. Die Stärke der Liebe resultiert, wie bei jeder starken Bewegung, zu einem guten Teil daraus, dass zusammengeht, was nicht unbedingt zusammengehört. Im Moment des Triumphs der Liebe ist das den Beteiligten kaum bewusst, später umso mehr, und in Phasen der Brüchigkeit keimt der Verdacht auf, alles könnte nur ein Missverständnis gewesen sein. Es käme darauf an, die Beziehung nicht vorweg mit zu großen Erwartungen zu befrachten, denn so groß wie die Erwartungen fallen die Enttäuschungen aus, ohne Erwartung keine Enttäuschung. Ein großer Liebender auf seine Art, Charles Bukowski, bekannte gegen Ende seines Lebens: »Ich gewöhnte mir beizeiten ab, nach der Traumfrau zu suchen. Ich wollte nur eine, die kein Albtraum war« ( Den Göttern kommt das große Kotzen , Tagebuch, 2006, 145). Die Chancen der Liebe wachsen mit der Mäßigung der Ansprüche an den Anderen, nicht zuletzt aus der Einsicht heraus, dessen Ansprüchen selbst auch nicht restlos genügen zu können. Sollte der Andere, der momentan als Traum erscheint und hoffentlich kein Albtraum wird, jedoch nicht von selbst schon Symptome der Zuwendung und Zuneigung zum Selbst zeigen, geht es darum, das Spiel der Liebe zu eröffnen, das die Blicke des Anderen in die gewünschte Richtung lenkt, seineGefühle zur richtigen Neigung veranlasst und Gedanken in ihm anstößt, die sich mit dem interessierten Selbst befassen.
Ist die Liebe ein Spiel?
Von der Umwerbung und Verführung zur Kunst des Liebens
Dafür, dass die Liebe ein Spiel ist, spricht, dass sie mit einem Vorspiel beginnt, denn erst müssen die Bedingungen für die Möglichkeit eines Spiels geschaffen werden, beispielsweise geeignete Mitspieler zu finden. Die Umwerbung , dieses »Sich-Bemühen«, ist dazu da, Anderen vor Augen zu führen, wie attraktiv eine Beteiligung wäre, und ihnen Angebote zu machen, die sie schwerlich ablehnen können. Dahinter stecken nicht immer »ernste Absichten«, oft werden nur beiläufige Versuche unternommen, den ontologischen Spielraum für Möglichkeiten über die bestehende Wirklichkeit hinaus zu eröffnen, oder auch nur das Gefühl der Macht zu genießen, die Aufmerksamkeit eines Anderen auf sich ziehen zu können. Jedes Spiel, das gespielt wird, lebt von Möglichkeiten, und sie werden mit einem Vorspiel erschlossen, dem beim Spiel der Liebe der Flirt entspricht, zurückgehend auf das altfranzösische fleureter , wörtlich etwa, »Blumen zu streuen«, im übertragenen Sinne, einer Dame »blumige Geschichten zu erzählen«, und dies auch ohne konkrete Absicht, nur zum Zweck einer Anbahnung von »Kontakten«, auch ohne wirkliche Berührung.
Der Flirt soll den Anderen in Versuchung führen, sich auf mich einzulassen, sich vorzustellen, wie es wäre, meinem Ansinnen nachzugeben, und sich ganz unverbindlich in ein mögliches Näherkommen einzufühlen. Im 21. Jahrhundert machen Pick-Up-Artists daraus ein Game . In Gefühlen undGedanken ist der Spieler dabei erst einmal nur provisorisch mit der Liebe befasst, wie beim Ballspiel mit
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