Die Liebe atmen lassen
), ist zugleich »etwas in der Art, wie sie mich umwirbt« ( Something in the way she woos me ), sang George Harrison ( Something , Beatles-Album Abbey Road , 1969). Vor allem aber ist das männliche Interesse mit der Wahl des so genannten »Ausschnitts« zu steuern, dem über die physiologische hinaus eine ontologische Attraktivität zukommt: Als Ausschnitt aus der Wirklichkeit des Körpers, kulturell und individuell höchst variabel, deutet er attraktive Möglichkeiten an, preist sie zuweilen auch an, verdeckt sie wieder, nimmt sie zurück und regt damit die Phantasie in reichem Maße an.
Auf seelischer Ebene zielt die Umwerbung darauf ab, die Gefühle des Anderen zu wecken , und das geschieht in erster Linie durch das Zeigen eigener Gefühle, die »ansteckend« wirken. Der, der wirbt, setzt die Semiotik und Rhetorik der Gefühle dazu ein, den Anderen von seiner großen Aufmerksamkeit, zeitlichen Verfügbarkeit, schenkenden Großzügigkeit zuüberzeugen. Das deutlich ihm zugewandte große Wohlwollen, die rückhaltlose Zuwendung und Zuneigung auf allen Ebenen, auch die Feuchtigkeit in den Augenwinkeln als Zeichen großer innerer Bewegtheit können Gefühle wachrufen, die den Betroffenen selbst am meisten überraschen, denn er versteht nicht recht, wie ihm geschieht. Heiße Liebesschwüre, Charme, Zärtlichkeit und Liebenswürdigkeit lassen jedoch kaum jemanden kalt: Daher singen schon die Troubadoure des Mittelalters so herzzerreißend von den Stürmen, die in ihrem Inneren toben, und in moderner Zeit beschwören die Romantiker so emphatisch ihre inneren Regungen, dass die wirkliche Existenz der Liebe nicht mehr bezweifelt werden kann.
Und doch verweist der Signifikant des Gesungenen und Gesagten nicht zweifelsfrei auf das Signifikat des ersehnten, wirklichen Zustandes. Von Gefühlen der Liebe zu sprechen und damit nur das nackte Begehren zu kaschieren, hält selbst der Maler Paul Klee für eine »listige Werbung« (Zeichnung, 1913, Zentrum Paul Klee, Bern), und auch die mehr oder weniger ehrlich gemeinten Worte, die über Jahrhunderte hinweg die Kultur des Liebesbriefs erblühen ließen, hielten nicht immer, was sie versprachen. Ähnlich verhält es sich mit Poesie und Prosa des Short Message Service (SMS), dessen mangelhafte langfristige Speicherung künftige Zeiten noch glauben machen wird, das 21. Jahrhundert sei sprachlos in Liebesdingen gewesen, ausgerechnet diese geschwätzigste aller Epochen. Mit Sprache, und sei sie noch so verstümmelt, dem potenziellen Mitspieler Gefühle nahezubringen, ihn mit verlockenden Vorstellungen in Versuchung zu führen, bleibt jedenfalls ein wichtiges Medium der Umwerbung und verfängt als Angebot emotionaler Nahrung am stärksten bei dem, der notorisch unterernährt ist, sei es aufgrund einer Benachteiligung vonNatur aus, oder weil die ihn umgebende Kultur den emotionalen Bedürfnissen zu wenig Beachtung schenkt, oder aufgrund einer vom Individuum selbst verursachten Situation des Mangels.
Auf geistiger Ebene beeindruckt der Umwerbende mit Girlanden von Gedanken und Ideen, die imstande sind, die Gedanken und Ideen des Anderen anzuregen , vorzugsweise mit Worten und Bildern, die ihm gefallen, aber auch mit überlegten und überlegenen Argumenten, die ihn nachdenklich stimmen, und vor allem mit überraschenden Gedanken, die anregender wirken als schlüssige Argumente; der Umworbene tut gut daran, dies bei seiner Einschätzung der Situation zu berücksichtigen. Als angehender Dramatiker des Liebesreigens bemerkte Arthur Schnitzler, wie er selbst darauf ansprach, als die Schauspielerin Adele Sandrock ihn auf dieser Ebene umwarb: »Sie hat den Umweg über meinen ›Geist‹ genommen«, notiert er am 17. Dezember 1893 in sein Tagebuch, »weil sie es mit dem Instinct ihrer erfahrenen Sinnlichkeit bei mir für nothwendig hielt.« Überzeugend erscheinen vor allem Klugheit, Humor, Ironie und Selbstironie des Umwerbenden, denn sie lassen erwarten, dass er bei misslichen Verwicklungen zur rettenden Distanz zum Geschehen und zu sich selbst in der Lage ist.
Auch die mit Worten und Zeichen nur angedeutete, zuweilen deutlich hervorgehobene Existenz materieller Güter spielt eine Rolle, romantischen Beweggründen sehr fern und doch von einer pragmatischen Bedeutung, die in frühmodernen Texten noch unverhüllt zur Sprache gebracht wird: Der umwerbende Mann solle damit der Umworbenen die Nützlichkeit der Verbindung vor Augen führen, bevor er auch ihre Eltern überzeuge, die letztlich zu
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