Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
verschiedenfarbigen Augen ruhten auf Jörgs rundem Gesicht.
Der Anblick des blauen rechten und grünen linken Auges war ihm bestens vertraut. Geduldig hielt er ihm stand. »Du hast natürlich recht, Schwesterherz. Doch ebenso gut wie ich weißt du, wie wenig es nützen würde, wenn ich über Jahre Nacht für Nacht diese Aufzeichnungen studiere. Mein Kopf ist für diese Dinge einfach nicht geschaffen. Bis heute verstehe ich kaum, um was es im Bauwesen eigentlich geht, außer, dass fleißig Stein auf Stein gesetzt werden und am Ende ein Dach über allem errichtet werden muss.«
»Dafür verstehst du dich umso besser auf das Brauen des besten Bieres dies- und jenseits des Pregels.« Aufmunternd tätschelte sie ihm den Arm.
»Was unser Vater aber leider gar nicht hören mag.« Schwungvoll pfefferte er das Barett in die entgegengesetzte Ecke der Werkstatt. »Für ihn ist es undenkbar, dass er mir das Brauen als Aufgabe zugestehen würde, auch wenn es für uns derzeit die einzige Möglichkeit ist, sicher Geld zu verdienen. Matas und Szymon vom Tragheim sind zwei hervorragende Brauknechte. Gern würden die fest für uns arbeiten. Was könnte ich mit ihnen gemeinsam aus dem Braurecht auf unserem Haus machen! Aber Vater schenkt mir nicht einen Augenblick, meine Pläne zu erläutern. Stets haben sich nur die Frauen unserer Familie um das Brauen gekümmert, und so soll es seiner Meinung nach bis in alle Ewigkeit bleiben.«
»So, wie sich immer nur die Männer mit dem Bauwesen beschäftigen dürfen«, ergänzte Dora und beobachtete, wie er sich auch der nassen, stoffreichen Schaube entledigte und sie umständlich zusammenlegte. Suchend sah er sich nach einer Möglichkeit um, sie abzulegen. Sie deutete auf einen Schemel vor dem deckenhohen, offenen Regal an der der langen Fensterfront gegenüberliegenden Längswand. »Doch genug des Lamentierens, Bruderherz! Du bist nicht durch den Regen nach Hause gerannt, um mit mir die ewige Klage über das männliche und weibliche Erbe unserer Familie anzustimmen. Was brennt dir wirklich auf der Seele, dass du dafür riskierst, Vaters Zorn auf dich zu ziehen? Früher oder später wird er dein Fehlen auf der Baustelle bemerken, und dann bricht ein Donnerwetter los.«
»Eigentlich ist es keine große Sache«, begann er zögerlich, schaute zu Boden, kratzte mit den breiten Kuhmaulschuhen über die Holzdielen, um hastiger hinzuzufügen: »Zumindest nicht für dich, die du trotz deines Geschlechts und deiner Jugend besser mit den Geheimnissen der Baukunst vertraut bist als so manch gestandener Werkmeister. Das heißt, nein, gerade für dich wäre es eine große Sache, weil du bestimmt Feuer und Flamme wärst, wenn es dich beträfe.«
»Du sprichst in Rätseln. Um was geht es genau?«
Ihren forschenden Blick konnte Jörg nicht lange ertragen, wandte sich ab, um ins Weite der über die gesamte Hausbreite verlaufenden Werkstatt festzustellen: »Vater will mich in die Fremde schicken.«
»Was?«
»Schon nächste Woche soll ich aufbrechen.«
»Wohin genau? Und warum so eilig?« Dora legte den Oktavband zurück auf den Tisch. Unbändiger Neid erfasste sie. Jörg hatte recht, für sie wäre das eine große Sache, einmal herauszukommen aus den drei Städten Königsbergs, einmal mit eigenen Augen etwas von der weiten Welt zu sehen, vor allem von den prächtigen Bauwerken, von denen Ahn Laurenz in seinem Buch schrieb. Dicht stellte sie sich vor den Bruder und zwang ihn, sie anzuschauen.
In seinen Augen flackerte die altbekannte Unsicherheit, um seine blutleeren Lippen zuckte es verräterisch. Die ohnehin schon sehr helle Gesichtshaut schimmerte im dämmrigen Licht des Regentages weiß. Kein Zweifel, er fürchtete sich vor dem, was sie als größtes Glück empfinden würde. Bitterkeit befiel sie. Warum durfte sie nicht an seiner Stelle gehen?
»Der Herzog schickt seinen neuen Baumeister Christoff Römer zu Studien zur Marienburg und auf andere ehemalige Ordensburgen«, fuhr Jörg fort. »Vor allem die kunstvollen Gewölbe soll er studieren. Eine Gruppe junger Kunstdiener wird ihn auf einem Teil der Reise begleiten und dann die Weichsel aufwärts nach Süden reisen. Letztlich sollen sie für mindestens ein Jahr bei verschiedenen Baumeistern in Nürnberg Aufnahme finden, um dort ihr Wissen zu vervollkommnen. Frag mich bitte nicht, wie Vater es geschafft hat, aber es ist ihm gelungen, dass Römer ausgerechnet mich als einen der Kunstdiener mit auf die Reise nimmt.«
»Du? Mit all den anderen
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