Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
oben in der Werkstatt herumtreibst, statt dich unten in der Diele der Hausarbeit zu widmen, obendrein studierst du mal wieder heimlich das Werkmeisterbuch unseres Urahns Laurenz Selege. Dabei hat der gute Laurenz seine Lehren zur Baukunst ausschließlich für die männlichen Nachfahren verfasst. Für die weiblichen gibt es das Haushaltsbüchlein seiner Gemahlin Agnes.«
»Ich weiß schon«, winkte Dora matt ab. »Deren Braukunst sollte uns Selege-Frauen stets zum Vorbild dienen. Schließlich war ihr Bier in allen drei Städten Königsbergs hochgeschätzt. Nach ihrer Rezeptur zu brauen nährt unsere Familie bis auf den heutigen Tag, derzeit sogar weitaus besser als das Bauen. Ihr Buch aber steckt vermutlich unter deinem Kopfkissen, damit du des Nachts besser von einem erfüllten Dasein an der Sudpfanne träumen kannst.«
Nun war es an Dora, wissend zu lächeln. Jörgs heimliche Begeisterung für das Bierbrauen kannte sie nur zu gut. Er wich ihrem Blick aus, trat näher zum Tisch und tat, als betrachtete er die Entwürfe ausgiebig.
»Wie findest du den Aufriss?« Neugierig linste sie ihm über die Schulter.
»Das soll wohl die Front für das neue Haus von Gerichtsrat Jonas nahe bei der Schlosstreppe sein, oder?« Jörg beugte sich tiefer über die Zeichnung. »Die Dienstleute aus dem Schloss verstehen es wirklich, sich die besten Bauplätze zu sichern. Hoffentlich hat Vater Glück und Gerichtsrat Jonas erteilt ihm den Auftrag. Wir könnten das Geld gut gebrauchen.«
»Mehr als gut«, pflichtete Dora bei. »Jonas zahlt großzügig, und kraft seines Amtes ist er eng mit dem Herzog verbunden. Das könnte Vater helfen, weitere Aufträge zu erhalten. Im nördlichen Schlossflügel steht nach der Explosion im Gewölbe unter der Ratsstube im letzten Frühjahr ein großer Neubau an. Eigentlich wäre es an der Zeit, dabei Vater als Baumeister zu berücksichtigen. Immerhin war sein Großvater in den Bauhütten der Deutschordensleute beschäftigt. Allerdings hat er dabei weitaus mehr gewagt als Vater mit diesem Entwurf.«
»Dir juckt es wohl kräftig in den Fingern, den Aufriss im Sinne unseres Ahns zu ergänzen. Pass gut auf! Wenn Vater davon erfährt, fallen für dich Ostern und Weihnachten auf einen Tag.«
»Stimmt. Der Aufriss ließe sich leicht noch um die ein oder andere Kleinigkeit ergänzen. Doch auf meine Vorschläge hört Vater leider nicht.« Jörg nickte zustimmend. Das ermutigte sie. »Von dir würde er sich gewiss einen Vorschlag anhören.«
»Hm«, war zunächst alles, was der Bruder darauf erwiderte.
»Begreifst du nicht, worauf ich hinauswill? Es ist mehr als einfach. Ich entwerfe etwas zur weiteren Ausschmückung des Baus für Gerichtsrat Jonas, und du zeigst es Vater als deinen Entwurf. Er wird stolz auf dich sein. Für eine Weile wird er ganz bestimmt aufhören, an deinen Fähigkeiten zu zweifeln.«
Zu ihrer Enttäuschung schwieg Jörg weiter. Seine traurigen Augen blickten bekümmert, bis er sich einen Ruck gab und das Gesicht zu einem zaghaften Lächeln verzog. »Ist das dein Ernst?«
»Natürlich!« Sie bemühte sich um einen beiläufigen Ton, obwohl sie innerlich vor Aufregung lichterloh brannte. »Uns allen ist geholfen, wenn der Gerichtsrat Vater als Baumeister beauftragt.«
»Was schlägst du also als kleine Veränderung vor?« Aus Jörgs schüchternem Lächeln wurde ein siegesgewisses Schmunzeln. Auf einmal hatte er es eilig, in den Plan eingewiesen zu werden. Dora fühlte einen Stich in der Brust. Auch wenn ihr Ansinnen somit leichter umzusetzen war als zunächst befürchtet, schmerzte sie genau das. Zumindest der Form halber hätte er sich etwas mehr zieren und sich schließlich für ihre Uneigennützigkeit bedanken können.
Um sich von der Enttäuschung abzulenken, deutete sie mit dem Zeigefinger auf den mit brauner Tinte ausgeführten Entwurf. »Den Erker im ersten Geschoss würde ich nicht mittig über das Eingangstor setzen, sondern dort vorn an der südwestlichen Hausecke anbringen. Zum einen schenkt das Freiraum für einen Wimperg über dem Tor, der sich mit Fialen und Krabben reichlich schmücken lässt, zum anderen wird dadurch innerhalb des Hauses ein kleiner Saal gewonnen, der einen sehr schönen Ausblick zum Schloss hinüber gewährt. Darin kann Jonas der Würde seines Amtes entsprechend Gäste empfangen. Auch von außen wird der Erker für Aufsehen sorgen. Einem hochrangigen Schlossbediensteten steht es durchaus an, mit solch außergewöhnlichen Räumlichkeiten aufzuwarten.«
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