Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
schaute sie weiter zum Fenster an der gegenüberliegenden Längswand. Die Vorhänge waren dort ebenfalls schon zurückgezogen. Stück für Stück setzte sich hinter den gitterartigen Bleirutenfenstern der tiefblaue Märzhimmel zusammen. Er verhieß einen sonnigen Frühlingstag.
Aus der benachbarten Küche drang Gepolter herüber, riss Dora aus der friedlichen Morgenstimmung. Ein irdener Krug klirrte zu Boden und zerbrach. Sofort ertönte Mathildas keifende Stimme. Urbans Base schimpfte der Ungeschicklichkeit wegen mit Elßlin. Das vierzehnjährige Bauernmädchen aus einer kleinen Lischke südlich des Haberbergs tat sich auch vier Wochen nach ihrer Ankunft schwer, mit den Gepflogenheiten eines städtischen Haushalts vertraut zu werden. Mathildas zornigen Worten folgte das Klatschen einer deftigen Maulschelle. Elßlin wimmerte. Um ihr Klagen zu übertönen, klapperte Mathilda energisch mit den Töpfen. Das klang nicht nach einem guten Anfang für die neue Woche. Dabei war der Montag ohnehin ein schwieriger Tag. Höchste Zeit, die Bettstatt zu verlassen und draußen nach dem Rechten zu sehen.
Immer noch fröstelnd, rieb sich Dora die Arme. In der Schlafstube gab es keinen Ofen. Das Bett war an die Wand zur Küche gerückt, durch die der Kamin verlief und somit das Schlafgemach mitheizte. Im Sommer bedeutete das oft schon in den frühen Morgenstunden ein Zuviel an Wärme. An einem kalten Märzmorgen wie diesem aber strahlte viel zu wenig Wärme in die Stube aus. Dora hoffte, die Sonne vor dem Fenster täuschte nicht allzu sehr und es hatte dennoch keinen Frost mehr gegeben. Am Tag der vierzig Märtyrer entschied sich das Wetter der nächsten vierzig Tage. Noch einmal schmiegte sie den Rücken gegen die Wand, wärmte sich an dem Gemäuer auf. Nach einiger Zeit streckte sie den ersten Fuß unter der Decke hervor, bewegte die Zehen, kreiste mit dem ganzen Fuß. Vorsichtig ließ sie den zweiten Fuß folgen. Das Nachtgewand aus Leinen bedeckte die Beine nur bis knapp zu den Knöcheln. Die Kälte kroch an den Oberschenkeln herauf. Schnell zog sie die Beine eng vor die Brust und schmiegte sich von neuem an die warme Kaminwand.
In der Küche war es wieder ruhig geworden. Dafür drangen plötzlich aufgebrachte Männerstimmen aus der gegenüberliegenden Wohnstube herüber. Eine davon gehörte ihrem Gemahl, die zweite kannte sie nicht. Offenbar stritten die Männer heftig. Als sie gerade versuchte Genaueres zu verstehen, ebbten sie so schnell, wie sie eben laut geworden waren, wieder ab. Dora wurde unruhig. Draußen auf dem Mühlenberg ging es ebenfalls umtriebig zu. Fuhrwerke knarrten mit ihren eisenbeschlagenen Rädern über das holprige Pflaster. Unter lautem Fluchen und Peitschenknallen trieben die Fuhrleute ihre Zugochsen an. Ziel war das herzogliche Schloss, dessen Einfahrt am Ende des Mühlenbergs Urbans Haus schräg gegenüberlag. Je länger Dora dem Treiben lauschte, je mehr wunderte sie sich, wie sie bei dem Lärm so lang hatte schlafen können. Verwundert wühlte sie die Leinentücher auf der zweiten Betthälfte durch. Längst schon hatten sie die Wärme von Urbans Leib verloren. Lediglich die Kuhle, die er mit seinem Gewicht der Matratze eingedrückt hatte, zeichnete sich noch deutlich darauf ab.
Klammheimlich musste er sich im ersten Morgengrauen erhoben und davongestohlen haben, um sie weiter ihren Träumen zu überlassen. Nicht zum ersten Mal in ihrer fast zweijährigen Ehe beschämte sie die liebevolle Rücksichtnahme des Gemahls. Sie beschloss, das Versäumnis rasch wieder wettzumachen und Mathilda vorzuschlagen, für den Abend außer der Reihe Urbans Leibgericht vorzubereiten. Die für das Wildbret nötigen Zutaten wollte sie gleich nach dem Morgenimbiss mit Elßlin auf dem Markt besorgen.
Wohlgemut schwang sie die Beine über die Bettkante, suchte mit den nackten Zehen nach den Schlappen und schlüpfte hinein. Noch im Aufrichten zog sie das Nachtgewand über den Kopf. Sobald ihr schmächtiger Leib bar allen Stoffes war, erfasste sie ein regelrechtes Zittern. Das Wasser in der bereitgestellten Schüssel war eisig. Wenige Spritzer ins Gesicht mussten genügen. Ohnehin stand morgen wieder ein ausgiebiges Bad an. Auf der reichgeschnitzten Truhe am Fußende des Bettes lag ihre Kleidung bereit. Zuerst streifte sie das frische Leinenhemd über, verschnürte es mit geübten Handgriffen vorn am Hals. Dem folgte das Kleid aus dickem rotem Tuch und schließlich der farblich abgestimmte Goller aus Samt. Sorgfältig
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