Die Liebe des letzten Tycoon
an der Wange der Gottheit herunter, Robby fing sie auf und setzte sie auf festen Boden, die andere folgte ihr nach kurzem Zögern. Robby wandte sich um und sah Stahr fragend an.
[47] »Was sollen wir mit ihnen machen, Chef?«
Stahr antwortete nicht. Aus nur einem guten Meter Entfernung sah ihn, identisch bis hin zum Gesichtsausdruck, mit mattem Lächeln seine tote Frau an. Nur durch eine Armlänge Mondlicht von ihm getrennt waren die Augen, die er kannte, auf ihn gerichtet, eine Locke wehte leicht auf einer vertrauten Stirn, das Lächeln verweilte, veränderte sich wie bei ihr, die Lippen öffneten sich auf die gleiche Art. Kaltes Grauen erfasste ihn, er hätte am liebsten laut aufgeschrien. Zurück aus dem stillen stickigen Raum, dem lautlos dahingleitenden Leichenwagen, der herabfallenden Blumenfülle, die alles verhüllte, zurück aus der Dunkelheit, stand sie warm und leuchtend vor ihm. Der Fluss rauschte an ihm vorbei, die starken Scheinwerfer stießen herab und blinkten – und dann hörte er eine Stimme, die nicht Minnas Stimme war.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte die Stimme. »Wir sind hinter einem Lastwagen durchs Tor gefahren.«
Eine kleine Menschenmenge war zusammengekommen – Elektriker, Handlanger, Trucker –, und Robby machte ihnen Beine wie ein Hütehund. »…schafft die starken Pumpen zu den Tanks auf Bühne vier… legt ein Tau um den Kopf da… flößt ihn auf zwei Brettern hoch… seht um Himmels willen zu, dass ihr das Wasser zuerst aus dem Dschungel kriegt… legt das große A-Rohr aus, das Zeug da ist Plastik…«
Stahr sah den beiden Frauen nach, die sich hinter einem Polizisten her zum Ausgang schoben. Dann probierte er mit einem vorsichtigen Schritt aus, ob seine Beine ihn wieder trugen. Ein Traktor tuckerte geräuschvoll durch den [48] Matsch, in langer Reihe zogen jetzt Männer an ihm vorbei. Jeder Zweite sah lächelnd zu ihm hin. Hallo Monroe… hallo Mr. Stahr… ziemlich feucht heute Nacht, Mr. Stahr… Monroe… Monroe… Stahr… Stahr… Stahr.
Er grüßte zurück und winkte dem Menschenstrom zu, der in der Dunkelheit an ihm vorbeifloss, und ich denke mir, dass er dabei ein bisschen wie Napoleon vor seiner Alten Garde ausgesehen hat. Es gibt keine Welt, die ohne Helden auskommt, und Stahr war ein Held. Die meisten dieser Männer waren schon lange hier, und bereits in den Anfängen, auch während des großen Umbruchs zum Tonfilm hin und schließlich in den drei Depressionsjahren hatte er dafür gesorgt, dass ihnen kein Leid geschah. Die alten Loyalitäten gerieten allmählich ins Wanken – auch er war schließlich nicht ohne Makel –, trotzdem war er ihr Mann, der letzte der ganz Großen, und die Grüße, die ihn von den Vorüberziehenden erreichten, waren gedämpfte Ovationen.
[49] 4
Von dem Abend meiner Rückkehr bis zu dem Erdbeben hatte ich mir mancherlei Gedanken gemacht.
Zum Beispiel über Vater. Ich liebte Vater – in einer Art unregelmäßiger Kurve mit vielen Einbrüchen –, sah aber allmählich ein, dass Willenskraft allein noch keinen akzeptablen Menschen ausmacht. Das, was Vater erreicht hat, verdankt er vor allem seiner Cleverness. Mit Glück und Gerissenheit hatte er einen Viertelanteil an einem boomenden Unternehmen erworben – mitsamt dem jungen Stahr. Das war seine Lebensleistung – alles andere war blindes Beharrungsvermögen. Natürlich schwafelte er, wenn er mit Wall Street sprach, von den Geheimnissen des Filmemachens, aber Vater beherrschte nicht mal das kleine Einmaleins des Vertonens oder auch nur des Schneidens. Außerdem hatte er als früherer Barkeeper in Ballyhegan nicht viel Gespür für das, was Amerika bewegte, und in Sachen Story hatte er den Geschmack eines Handelsvertreters. Andererseits hatte er keine verheimlichte Parese wie –; er war immer vor zwölf im Studio, und sein Argwohn, der durchtrainiert war wie ein Muskel, stellte sicher, dass ihn keiner aufs Kreuz legen konnte.
Stahr war sein Glück gewesen, und Stahr war ein ganz anderes Kaliber. Er hatte Zeichen in der Branche gesetzt [50] wie Edison und Lumière und Griffith und Chaplin . Er führte den Film weit über Reichweite und Einfluss des Theaters hinaus in eine Art Goldenes Zeitalter, das 1933 mit der Einführung der Zensur endete. Stahrs Führungsqualitäten konnte man daran ermessen, dass ständig um ihn herumspioniert wurde, und man spionierte nicht nur, um ihm Insiderinformationen oder patentierte Geheimverfahren abzuluchsen, sondern um sich an seine Witterung für
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