Die Liebe des letzten Tycoon
vor, in der weder schlechter Dialog vorkommt, noch jemand in einen Brunnen springt. Hat Ihr Büro einen Ofen, der sich mit einem Streichholz in Gang setzen lässt?«
»Kann sein«, sagte Boxley steif. »Ich habe ihn noch nie benutzt.«
»Nehmen wir an, Sie sind in Ihrem Büro. Sie haben sich den ganzen Tag mit Duellen oder mit dem Schreiben geplagt. Jetzt sind Sie abgekämpft, können sich zu beidem nicht mehr aufraffen, sitzen nur da und sehen – wer von uns kennt das nicht? – lustlos vor sich hin. Eine hübsche, Ihnen nicht unbekannte Stenotypistin kommt herein, und Sie schauen der jungen Dame untätig zu, die Sie, obwohl Sie ganz in der Nähe sitzen, nicht bemerkt. Sie zieht die Handschuhe aus, öffnet ihre Handtasche und stellt sie auf einem Tisch ab…« Stahr stand auf und warf seinen Schlüsselbund auf den Schreibtisch.
[57] »Sie nimmt zwei Zehn-Cent-Stücke und einen Nickel heraus – und eine Streichholzschachtel aus Pappe. Sie lässt den Nickel auf dem Schreibtisch liegen, steckt die beiden Zehn-Cent-Stücke wieder in die Handtasche, geht mit ihren schwarzen Handschuhen zum Ofen, macht ihn auf und wirft sie hinein. In der Streichholzschachtel ist ein einziges Streichholz, und sie kniet sich vor den Ofen, um es anzureißen. Sie spüren einen Windstoß vom Fenster her – aber in diesem Moment läutet Ihr Telefon. Die junge Dame hebt ab, meldet sich, hört einen Augenblick zu und sagt sehr entschieden: ›Ich habe noch nie ein Paar schwarze Handschuhe besessen.‹ Sie legt auf, kniet sich wieder vor den Ofen, und als sie das Streichholz anzündet, sehen Sie sich unvermittelt um und entdecken in Ihrem Büro einen zweiten Mann, der jede Bewegung der jungen Dame verfolgt…«
Stahr hielt inne. Er griff nach seinen Schlüsseln und steckte sie in die Tasche.
»Weiter!«, sagte Boxley lächelnd. »Was geschieht dann?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Stahr. »Der Film ist ja erst im Werden.«
Boxley sah sich in die Defensive gedrängt.
»Das ist Melodrama«, sagte er.
»Nicht unbedingt«, meinte Stahr. »Zumindest haben wir es weder mit gewalttätigen Aktionen noch mit billigen Dialogen oder übertriebener Mimik zu tun, sondern nur mit einer einzigen schlechten Textzeile, die ein Schriftsteller wie Sie sicherlich noch verbessern könnte. Aber ich habe Ihr Interesse geweckt.«
»Wozu war der Nickel?«, fragte Boxley ausweichend.
[58] »Keine Ahnung.« Stahr musste lachen. »Oder doch: Der Nickel war fürs Kino.«
Die beiden unsichtbaren Wärter schienen Boxley loszulassen. Er lehnte sich entspannt in seinem Sessel zurück und lachte mit.
»Für was zum Teufel bezahlen Sie mich?«, fragte er. »Ich verstehe nichts von dem verdammten Kram.«
»Aber Sie sind lernfähig«, sagte Stahr grinsend. »Sonst hätten Sie nicht nach dem Nickel gefragt.«
Ein dunkelhaariger Mann mit großen Kulleraugen wartete im Vorzimmer, als sie herauskamen.
»Mr. Boxley, das ist Mr. Mike Van Dyke«, sagte Stahr. »Wo brennt’s, Mike?«
»Nirgends. Ich wollte nur mal nachsehen, ob es Sie tatsächlich gibt.«
»Geh lieber arbeiten«, meinte Stahr. »Ich habe bei den Mustern seit Tagen nichts mehr zum Lachen gehabt.«
»Wenn ich mal bloß keinen Nervenzusammenbruch kriege.«
»Du musst dich fit halten«, riet ihm Stahr. »Lass mal sehen, was du zu bieten hast.« Er wandte sich an Boxley. »Mike ist Slapstick-Urgestein, er war schon hier, als ich noch in den Windeln lag. Führ Mr. Boxley mal die große Flatter mit plötzlichem Abgang vor.«
»Hier?«, fragte Mike.
»Hier.«
»Da hab ich nicht genug Platz. Ich wollte eigentlich fragen…«
»Du hast reichlich Platz.«
[59] »Na schön…« Er sah sich zögernd um. »Dann lass mal einer den Schuss los.«
Miss Doolans Assistentin Katie nahm eine Papiertüte und blies sie auf.
»Ein Akt aus den Keystone-Tagen«, sagte Mike zu Boxley. Und zu Stahr: »Weiß er, was ein Akt ist?«
»Eine Nummer«, erläuterte Stahr. »Georgie Jessel spricht von ›Lincolns Gettysburg-Nummer‹.«
Katie setzte sich die aufgeblasene Tüte an den Mund. Mike hatte sich mit dem Rücken zu ihr aufgestellt.
»Fertig?«, fragte Katie und schlug mit der flachen Hand auf die Tüte. Prompt packte Mike seinen Hintern mit beiden Händen, sprang hoch, schob abwechselnd die Füße auf dem Boden vor, ohne von der Stelle zu kommen, schlug zweimal mit den Armen wie ein Vogel –
»Große Flatter«, erläuterte Stahr.
– schoss durch die Fliegentür, die der Bürobote ihm aufgehalten hatte, an der
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