Die Liebe des letzten Tycoon
neue Trends im Publikumsgeschmack, seine Einschätzung künftiger Entwicklungen anzuhängen. Solche Versuche abzuwehren kostete ihn sehr viel Kraft. Er arbeitete deshalb zum Teil heimlich, langsam und auf Umwegen – und seine Leistungen ließen sich so schwer bewerten wie die eines Generals, bei dem man wegen der subtilen psychologischen Faktoren letztlich nur Erfolge und Misserfolge addiert. Weil mir aber viel daran liegt, Ihnen einen kurzen Einblick in das zu geben, was Stahr an- und umtrieb, habe ich den nachfolgenden Text verfasst. Er ist teilweise einem Referat zum Thema »Tag eines Produzenten« entnommen, das ich im College geschrieben habe, das Übrige ist reine Phantasie, wobei ich mir vielfach die Alltäglichkeiten ausgedacht habe, während das Außergewöhnliche tatsächlich so passiert ist.
Am frühen Morgen nach der Überschwemmung betrat ein Mann den Außenbalkon des Verwaltungsgebäudes. Wie ein Augenzeuge berichtete, blieb er dort eine Weile stehen, dann stieg er auf das eiserne Geländer und stürzte sich kopfüber auf den Gehsteig. Schaden: ein Armbruch.
Miss Doolan, Stahrs Sekretärin, erstattete Bericht, als [51] sein Summer sie um neun hereinrief. Er hatte im Büro geschlafen und von dem Wirbel nichts mitbekommen.
»Pete Zavras!«, stieß er hervor. »Der Kameramann?«
»Sie haben ihn zum Arzt gebracht. Es geht nicht an die Presse.«
»Eine verteufelte Geschichte«, sagte er. »Dass es ihm schlechtging, wusste ich, aber ich habe keine Ahnung, warum. Als wir ihn vor zwei Jahren eingesetzt hatten, war er völlig in Ordnung. Warum gerade hier? Wie ist er reingekommen?«
»Er hat getrickst. Mit seinem alten Studioausweis«, sagte Catherine Doolan. Sie hatte ein hageres Raubvogelgesicht und war mit einem Produktionsassistenten verheiratet. »Vielleicht hatte es was mit dem Erdbeben zu tun.«
»Er war der beste Kameramann weit und breit«, sagte Stahr. Trotz der Opfer in Long Beach, die in die Hunderte gingen, lag ihm der missglückte Selbstmord im Morgengrauen schwer auf der Seele. Er bat Catherine, der Sache nachzugehen.
Der Diktograph lieferte die ersten Meldungen dieses warmen Vormittags. Während Stahr sich rasierte und seinen Kaffee trank, sprach er in den Apparat und hörte Nachrichten ab. Robby hatte hinterlassen: »Wenn Mr. Stahr mich haben will, schickt ihn zum Teufel. Ich bin im Bett.« Ein Schauspieler war krank oder hielt sich dafür; der Gouverneur von Kalifornien hatte sich mit einer Gruppe zur Besichtigung angemeldet; ein Projektleiter hatte seine Frau geprügelt und musste für die Presse »zum Schreiber zurückgestuft« werden – diese drei Vorfälle fielen in Vaters Zuständigkeit, sofern sich nicht herausstellte, dass der [52] Schauspieler bei Stahr persönlich unter Vertrag stand. An einem Drehort in Kanada hatte es vorzeitig geschneit, das Team war bereits eingetroffen. Stahr versuchte, um nach Möglichkeit noch etwas zu retten, sich die Handlung des Films ins Gedächtnis zu rufen. Vergebens. Er holte Catherine Doolan herein.
»Ich möchte den Cop sprechen, der die beiden Frauen gestern Abend vom Aufnahmegelände gebracht hat. Ich glaube, er heißt Malone.«
»Ja, Mr. Stahr. Ich hab Joe Wyman am Apparat – wegen der Hose.«
»Hallo, Joe«, sagte Stahr. »Hör zu, bei der Voraufführung haben sich zwei Zuschauer beschwert, dass Morgan den halben Film über mit offenem Hosenschlitz rumgelaufen ist… natürlich übertreiben sie, aber auch wenn es nur drei Meter sind… nein, wir können nicht nach ihnen suchen, aber lasst bitte den Streifen durchlaufen, bis ihr die Stelle findet. Schickt reichlich Leute in den Vorführraum, irgendjemand entdeckt sie schon.«
Tout passe. – L’art robuste
Seul à l’éternité.
»Und da wäre noch der Prinz von Dänemark«, sagte Catherine Doolan. »Er sieht sehr gut aus.« Und unnötigerweise fügte sie hinzu: »…für einen so großen Mann.«
»Besten Dank für die Blumen«, sagte Stahr. »Ich weiß es zu schätzen, Catherine, dass ich der bestaussehende kleine Mann im Studio bin. Sagen Sie dem Prinzen, dass er sich an den Sets umsehen soll und dass wir um eins essen.«
[53] »Und Mr. George Boxley, der so wütend dreinschaut, wie das einem Briten überhaupt möglich ist.«
»Zehn Minuten, nicht mehr.«
Sie wandte sich zum Gehen.
»Hat Robby angerufen?«, fragte er.
»Nein.«
»Frag im Tonstudio nach, und wenn er sich dort gemeldet hat, versuch ihn zu erreichen und erkundige dich, ob er noch weiß, wie die Frau von
Weitere Kostenlose Bücher