Die Liebe des letzten Tycoon
verglasten Balkontür vorbei und verschwand.
»Mr. Hanson aus New York ist am Apparat, Mr. Stahr«, meldete Miss Doolan.
Zehn Minuten später stellte er den Diktograph aus, und Miss Doolan kam herein. Im Vorzimmer warte ein prominenter Filmschauspieler, der Stahr sprechen wolle.
»Sagen Sie ihm, dass ich mich vom Balkon gestürzt habe«, empfahl ihr Stahr.
»Ja, gut. In dieser Woche war er schon viermal hier. Es scheint ihm sehr wichtig zu sein.«
»Hat er angedeutet, was er wollte? Kann er nicht mit Mr. Brady darüber sprechen?«
[60] »Das hat er nicht gesagt. Vergessen Sie die Sitzung nicht. Miss Meloney und Mr. White sind draußen. Mr. Broaca sitzt nebenan in Mr. Rienmunds Büro.«
»Schicken Sie ihn rein«, entschied Stahr. »Sagen Sie ihm, dass ich nur eine Minute für ihn habe.«
Er erwartete den gutaussehenden Schauspieler im Stehen.
»Was gibt’s denn so Dringendes?«, fragte er liebenswürdig.
Der Schauspieler wartete, bis Miss Doolan gegangen war. »Ich bin am Ende, Monroe«, sagte er. »Ich musste Sie sprechen.«
»Am Ende? Haben Sie Variety gelesen? Ihr Film ist im Roxy verlängert worden und hat letzte Woche in Chicago siebenunddreißigtausend eingespielt.«
»Das ist ja das Schlimme, das ist die Tragödie. Ich habe alles bekommen, was ich mir erträumt habe, und jetzt bedeutet es mir nichts mehr.«
»Dann legen Sie mal los.«
»Zwischen Esther und mir spielt sich nichts mehr ab. Definitiv nicht.«
»Ihr habt euch verkracht.«
»Nein, nein, schlimmer, ich… nein, ich kann es nicht sagen. Ich bin wie benebelt, laufe herum wie ein Wahnsinniger, spiele meine Rollen wie im Schlaf…«
»Ist mir noch nicht aufgefallen«, sagte Stahr. »In den Mustern von gestern waren Sie großartig.«
»Wirklich? Das zeigt doch nur, dass bisher niemand was gemerkt hat.«
»Soll das heißen, dass Sie und Esther sich trennen wollen?«
[61] »Vermutlich ja. Doch, früher oder später ist es unausweichlich.«
»Und warum?«, fragte Stahr ungeduldig. »Ist sie reingekommen, ohne zu klopfen?«
»Nein, nein, es gibt keine andere. Es… liegt allein an mir. Ich bin am Ende.«
Schlagartig hatte Stahr begriffen.
»Woher wissen Sie das?«
»Es geht schon seit sechs Wochen so.«
»Reine Nervensache«, meinte Stahr. »Waren Sie beim Arzt?«
Der Schauspieler nickte.
»Ich habe alles ausprobiert. Ich bin sogar… in meiner Verzweiflung war ich neulich sogar bei… bei Claris. Aber es war hoffnungslos. Ich bin erledigt.«
Stahr war versucht, den Schauspieler mit seinem Problem an Brady zu verweisen. Der war bei ihnen für die Kontaktpflege zuständig. Aber ob das auch für den Privatbereich galt? Er wandte sich kurz ab, um seine Gesichtszüge wieder ins Lot zu bringen.
»Ich war bei Pat Brady«, erklärte der Schauspieler, als habe er Stahrs Gedanken erraten. »Er hat mir jede Menge windiger Ratschläge gegeben, und ich hab sie alle ausprobiert, aber sie haben nichts gebracht. Beim Abendessen sitzen wir uns gegenüber, Esther und ich, und ich schäme mich so, dass ich sie nicht ansehen kann. Sie hat sich bisher sehr anständig verhalten, aber ich schäme mich. Ich schäme mich den ganzen Tag. Rainy Day hat in Des Moines 25 000 eingespielt, glaube ich, und in St. Louis alle Rekorde gebrochen und es in Kansas City auf 27 000 gebracht, meine Fanpost [62] wird täglich mehr – und ich habe Angst davor, abends heimzugehen, habe Angst davor, mich ins Bett zu legen.«
In Stahr regte sich leise Beklemmung. Als der Schauspieler hereingekommen war, hatte Stahr ihn zu einer Cocktailparty einladen wollen, aber das war wohl jetzt kaum das Richtige. Was half dem Mann eine Cocktailparty, wenn ihm so etwas auf der Seele lag? Im Geist sah er ihn, ein Glas in der Hand, seine Einspielergebnisse von 28 000 vor Augen, gequält von Gast zu Gast gehen.
»Und deshalb bin ich hier, Monroe. Sie haben noch immer einen Ausweg gewusst. Selbst wenn er mir rät, mich umzubringen, hab ich mir gesagt – ich gehe zu Monroe und frage ihn um Rat.«
Der Summer auf Stahrs Schreibtisch ertönte. Er schaltete den Diktograph ein und hörte Miss Doolans Stimme.
»Fünf Minuten, Mr. Stahr.«
»Tut mir leid«, sagte der. »Ich brauche noch etwas länger.«
»Fünfhundert Mädchen aus der Highschool sind vor meinem Haus aufmarschiert«, sagte der Schauspieler düster, »und ich hab hinter den Vorhängen gestanden und sie angeschaut. Rausgehen konnte ich nicht.«
»Jetzt setzen Sie sich mal«, sagte Stahr, »und wir besprechen das in aller
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