Die Liebe des letzten Tycoon
geborene Amerikaner oder auch Juden von klein auf zu bewundern lernen, aber er brachte seine Filme termingerecht heraus, und die von ihm zur Schau getragene, fast homosexuelle Fixierung auf Stahr schien diesem den sonst so klaren Blick getrübt zu haben. Stahr schätzte ihn als einen guten Allround-Mann.
Wylie White hätte man in jedem Land als Intellektuellen zweiten Ranges erkannt. Er war kultiviert und wortgewandt, einfältig und aufgeweckt zugleich, halb hilflos, halb unzufrieden. Sein Neid auf Stahr zeigte sich nur in kurzen unvorsichtigen Ausbrüchen und war mit Bewunderung, ja Zuneigung durchmischt.
[67] »Als Drehbeginn hatten wir Samstag in zwei Wochen vorgesehen«, sagte Stahr. »Alles in allem ist der Film in Ordnung… vieles ist besser geworden…«
Rienmund und die beiden Autoren gratulierten sich wechselseitig mit einem raschen Blick.
»Bis auf eins«, sagte Stahr nachdenklich. »Ich sehe keinen Grund, ihn überhaupt zu produzieren, und habe beschlossen, ihn zu begraben.«
Einen Augenblick herrschte entsetztes Schweigen – dann gab es halblauten Protest, angstvolle Fragen.
»Ihr könnt nichts dafür«, sagte Stahr. »Ich habe gedacht, der Film hätte etwas, was er nicht hat, das ist alles.« Er zögerte und sah Rienmund bedauernd an. »Schade drum – das Stück war gut. Wir haben fünfzigtausend dafür bezahlt.«
»Wo hakt’s, Monroe?«, fragte Broaca brüsk.
»Eigentlich hat es ja keinen Sinn mehr, noch darüber zu reden«, sagte Stahr.
Rienmund und Wylie White dachten an die Auswirkungen auf ihre Karriere. Rienmund hatte in diesem Jahr schon zwei Filme gemacht, aber Wylie White brauchte, um wieder ins Geschäft zu kommen, eine Nennung im Abspann. Rose Meloney beobachtete Stahr scharf aus kleinen, tiefliegenden Augen.
»Komm, gib uns doch wenigstens einen Grund, Monroe«, sagte Rienmund. »Das ist ein ziemlicher Schlag für uns.«
»Ich würde Margaret Sullavan darin keine Rolle geben«, sagte Stahr. »Und Colman auch nicht. Ich würde ihnen nicht raten, in diesem Film zu spielen…«
»Genauer, Monroe«, bat Wylie White. »Was geht dir [68] gegen den Strich? Die Szenen? Die Dialoge? Der Humor? Die Dramaturgie?«
Stahr nahm das Script in die Hand und ließ es wieder fallen, als sei es ihm zu schwer.
»Die Figuren gehen mir gegen den Strich. Ich hätte keine Lust, sie kennenzulernen, ja, ich würde nach Möglichkeit einen großen Bogen um sie machen.«
Rienmund lächelte, aber man sah ihm an, wie besorgt er war.
»Das klingt ja wirklich vernichtend«, sagte er. »Ich fand die Figuren recht reizvoll.«
»Ich auch«, bestätigte Broaca. »Em fand ich sehr sympathisch.«
»Ist das dein Ernst?«, fragte Stahr scharf. »Ich musste mich sehr anstrengen, um in der Figur so was wie einen lebendigen Menschen zu erkennen, und am Schluss habe ich mich gefragt: Na und?«
»Da lässt sich aber doch vielleicht was machen«, sagte Rienmund. »Natürlich trifft uns das ganz schön hart. Wir hatten uns auf diese Konstruktion geeinigt…«
»Aber nicht auf diese Story«, widersprach Stahr. »Ich habe euch immer wieder gesagt, dass ich zunächst entscheide, was für eine Art von Story ich will. Alles andere lässt sich noch ändern, aber sobald die Story feststeht, müssen wir mit jeder Zeile, mit jeder Bewegung darauf hinarbeiten. Und so hatte ich sie mir eben nicht vorgestellt. Die Story, die wir eingekauft hatten, glänzte und funkelte, es war eine fröhliche Geschichte. Hier wird ständig gezweifelt und gezaudert. Dem Helden und der Heldin kommt durch eine Lappalie ihre Liebe abhanden, und dass sie schließlich [69] wieder zusammenfinden, liegt auch nur an einer Lappalie. Nach der ersten Szene ist es einem völlig einerlei, ob sie ihn oder er sie jemals wiedersieht.«
»Das ist meine Schuld, Monroe«, schaltete Wylie sich ein. »Ich finde nämlich, dass Stenotypistinnen ihre Chefs nicht mehr so treudoof anhimmeln wie 1929. Sie wissen, was Arbeitslosigkeit ist, sie haben Chefs erlebt, bei denen die Nerven blank lagen. Die Zeiten haben sich einfach geändert.«
Stahr sah ungeduldig zu ihm hin und nickte kurz. »Das ist nicht unser Thema. Diese Story geht davon aus, dass das Mädchen ihren Chef treudoof anhimmelt, wenn du es so ausdrücken willst. Und es gibt keinen Hinweis darauf, dass bei ihm irgendwann mal die Nerven blank lagen. Wenn du das Mädchen an ihm zweifeln lässt, hast du eine andere Story oder besser: Du hast überhaupt nichts mehr. Diese Menschen sind extravertierte
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