Die Liebe des letzten Tycoon
Ruhe.«
Im Vorzimmer warteten schon seit zehn Minuten zwei der Sitzungsteilnehmer – Wylie White und Rose Meloney. Letztere war eine vertrocknete kleine Blondine um die Fünfzig, über die Hollywood mit fünfzig verschiedenen Meinungen aufwartete, sie sei »eine sentimentale Gans«, hieß es, »die beste Treatmentschreiberin von Hollywood«, [63] »eine von der alten Garde«, »verknöcherte Schreibtante«, »die cleverste Frau im Studio«, »im Abkupfern die Größte in der Branche« – und natürlich auch Nymphomanin, keusche Susanne, scharfe Nummer, Lesbe und treusorgende Ehefrau. Ohne eine alte Jungfer zu sein, haftete ihr wie vielen Selfmade-Frauen etwas Altjüngferliches an. Sie hatte Magengeschwüre und ein Jahresgehalt von über hunderttausend Dollar. Eine Doktorarbeit ließe sich über die Frage schreiben, ob sie es »wert war« oder mehr als wert oder überhaupt nichts wert. dass man sie allgemein schätzte, verdankte sie unter anderem der schlichten Tatsache, dass sie eine Frau war, anpassungsfähig, reaktionsschnell und zuverlässig, dass sie »wusste, wie der Hase lief«, und sich selbst nicht wichtig nahm. Sie war eng mit Minna befreundet gewesen, und im Lauf der Jahre war es Stahr gelungen, das Gefühl heftigen körperlichen Widerwillens zurückzudrängen, das ihn in ihrem Beisein überkam.
Sie und Wylie schwiegen sich an und richteten nur ab und zu ein Wort an Miss Doolan. Alle paar Minuten meldete sich Rienmund, der Projektleiter, von seinem Büro aus, wo er mit dem Regisseur Broaca wartete. Nach zehn Minuten leuchtete Stahrs Rufknopf auf, und Miss Doolan rief Rienmund und Broaca herein. Gleichzeitig kamen Stahr und der Schauspieler Arm in Arm aus Stahrs Büro. Der Schauspieler war jetzt so aufgelöst, dass er, als Wylie White ihn fragte, wie es ihm ginge, sofort loslegen wollte.
»Miserabel geht’s mir, ich…«
Stahr fuhr scharf dazwischen. »Reden Sie keinen Unsinn. Jetzt reißen Sie sich zusammen und spielen Sie die Rolle so, wie ich gesagt habe.«
[64] »Danke, Monroe.«
Rose Meloney sah ihm gedankenvoll nach, dann fragte sie: »Hat jemand ihm die Fliegen weggeschnappt?« – was so viel bedeutete wie »jemandem die Schau stehlen«.
»Tut mir leid, dass ich euch habe warten lassen«, sagte Stahr. »Kommt rein.«
[65] 6
Es war schon Mittag, und den Sitzungsteilnehmern stand genau eine Stunde von Stahrs Zeit zu. Nicht weniger, denn solche Sitzungen durfte nur ein Regisseur unterbrechen, der bei seinem Dreh nicht weiterkam, aber auch selten mehr, weil das Studio alle acht Tage eine Produktion herausbrachte, die nicht minder komplex und kostspielig war als Reinhardts Miracle.
Gelegentlich – nicht mehr so oft wie vor fünf Jahren – arbeitete Stahr die ganze Nacht an einem Film durch, fühlte sich aber nach so einem Kraftakt noch tagelang miserabel. Wenn er dagegen ein Problem nach dem anderen abarbeiten konnte, tankte er bei jedem Themenwechsel ein wenig neue Kraft. Und so wie manche Leute zu jeder gewünschten Zeit aufwachen können, hatte er seinen psychologischen Wecker auf eine Stunde gestellt.
Neben den Drehbuchschreibern gehörten zum Team Rienmund, einer der bevorzugten Projektleiter, und John Broaca, der Regisseur des Films, über den sie sprechen wollten.
Auf den ersten Blick wirkte Broaca wie ein Ingenieur – groß und breit und durch nichts zu erschüttern, von ruhiger Entschlossenheit, beliebt. Er war ein Ignorant, und Stahr ertappte ihn oft dabei, dass er immer wieder die gleiche [66] Szene drehte; in all seinen Filmen gab es – unverändert in der Handlung, unverändert in der Sache – eine Szene mit einem reichen jungen Mädchen. Mehrere große Hunde kamen ins Zimmer und sprangen um das Mädchen herum. Später ging das Mädchen in einen Stall und tätschelte einem Pferd die Hinterbacken. Für die Erklärung brauchte man vermutlich nicht einmal Freud zu bemühen, wahrscheinlicher war, dass Broaca irgendwann in seiner tristen Jugend durch einen Zaun hindurch ein schönes Mädchen mit Hunden und Pferden gesehen hatte. Als Markenzeichen für Glanz und Glamour hatte sich ihm dieses Bild unauslöschlich eingeprägt.
Rienmund war ein gutaussehender und nicht ungebildeter junger Opportunist. Ursprünglich ein Mann von Charakter, war er durch seine zweischneidige Stellung täglich zu unaufrichtigem Denken und Tun gezwungen, was ihn zu dem gemacht hatte, was man landläufig einen schlechten Menschen nennt. Mit dreißig besaß er keine einzige jener Tugenden, die im Land
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