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Die Liebe des letzten Tycoon

Die Liebe des letzten Tycoon

Titel: Die Liebe des letzten Tycoon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Kurs abgekommen, und genau wie in meinem Tagtraum kam jemand herein – nur hatte bestimmt Stahr auf einen versteckten Knopf gedrückt.
    Für mich wird dieser Augenblick, als ich hinter mir Miss Doolan mit ihrem Block spürte, immer das Ende der Kindheit bedeuten und das Ende des Bilderausschneidens. Vor mir sah ich nicht Stahr, sondern sein Bild, das ich immer wieder ausgeschnitten hatte: sein Blick, der alles weltklug und verständnisvoll erfasste und sich dann blitzschnell [120] hinter die breite Stirn mit ihren zehntausend Plots und Plänen zurückzog; das Gesicht, das von innen alterte, ein Gesicht, das keine flüchtigen Sorgen- oder Zornesfalten hatte, sondern geprägt war von Askese, einem lautlosen Kampf mit dem eigenen Ich – oder langer Krankheit. Für mich war es reizvoller als alle rosige Bräune von Coronado bis Del Monte. Er war mein Bild – so sicher, als hätte ich ihn in mein altes Spind in der Schule geklebt. So habe ich es Wylie White erzählt, und wenn eine Frau dem Mann, den sie am zweitliebsten hat, von dem anderen erzählt – dann ist sie verliebt.
    *
    Schon lange, bevor Stahr auf den Ball kam, war mir die Frau aufgefallen. Kein hübsches Mädchen, denn die gibt es nicht in Los Angeles – ein Mädchen allein kann hübsch sein, aber im Dutzend sieht man eben doch nur Revuegirls –, und auch keine dieser berüchtigten Schönheiten, die so viel Luft für sich brauchen, dass schließlich sogar die Männer rausgehen müssen, um Atem zu holen. Einfach eine junge Frau mit der Haut eines Raffaelputtos und mit so viel Stil, dass man sich zweimal umdrehte, um nachzusehen, ob es an dem lag, was sie trug.
    Sie war mir aufgefallen, und ich vergaß sie wieder. Sie saß hinter den Säulen an einem Tisch, dessen Schmuckstück eine verwelkte Pseudodiva war, die in der Hoffnung, auf sich aufmerksam zu machen und eine Nebenrolle zu ergattern, unermüdlich mit irgendwelchen männlichen Vogelscheuchen tanzte. Die Szene erinnerte mich peinlich an meine erste Party, auf der Mutter mich gezwungen hatte, immer wieder mit demselben Jungen zu tanzen, damit mich nur ja alle [121] sahen. Die verwelkte Filmdiva sprach mehrere Leute an unserem Tisch an, aber wir spielten eifrig Café Society, so dass sie nicht landen konnte.
    Wir hatten das Gefühl, dass alle was von uns wollten.
    »Sie erwarten, dass du mit dem Geld um dich wirfst«, sagte Wylie. »So wie früher. Wenn sie merken, dass du die Hand nicht aufmachst, verschreckt sie das, und deshalb findest du jetzt überall diese tapfere Trübsal. Ihre Selbstachtung können sie nur als Hemingway-Figuren behalten, insgeheim aber haben sie auf ihre klägliche Art einen Hass auf uns, und das merkt man.«
    Er hatte recht: Ich wusste, dass sich seit 1933 die Reichen nur unter sich wohl fühlen konnten.
    Ich sah, wie Stahr in dem Halbdunkel oben an der breiten Treppe auftauchte. Dort blieb er mit den Händen in den Taschen stehen und sah sich um. Es war spät, und mir schien, als hätten sie die Beleuchtung heruntergefahren, aber das war nur Einbildung. Die Show war aus, nur ein Mann war noch auf der Bühne, mit einem Plakat um den Hals, auf dem stand, dass Sonja Henie um Mitternacht im Hollywood Bowl auf heißer Suppe Schlittschuh laufen würde. Während er tanzte, wurde das Plakat auf seinem Rücken immer weniger witzig. Vor ein paar Jahren hätte man hier Betrunkene gesehen. Die abgetakelte Diva schien über die Schulter ihres Partners hoffnungsvoll nach ihnen Ausschau zu halten. Ich sah sie zu ihrem Tisch zurückgehen…
    …und da stand zu meiner Überraschung Stahr und sprach mit der jungen Frau. Sie lächelten sich an, als hätte mit ihnen die Welt angefangen.
    [122] Damit hatte Stahr nicht gerechnet, als er vor ein paar Minuten von oben in den Saal gesehen hatte. Die Voraufführung war enttäuschend gewesen, und hinterher hatte er vor dem Kino eine Auseinandersetzung mit Jaques La Borwits gehabt, die ihm jetzt leid tat. Er war auf dem Weg zum Tisch der Bradys gewesen, als er Kathleen allein genau in der Mitte eines langen weißen Tisches sitzen sah.
    Mit einem Schlag war alles verändert. Als er auf sie zuging, rückten die Gäste in den Hintergrund, bis sie nur noch Figuren auf einem Wandfries waren. Der weiße Tisch zog sich in die Länge und wurde zum Altar, an dem die Priesterin allein saß. Neue Kraft erfüllte ihn, und er hätte lange dort am Tisch stehen und sie nur lächelnd ansehen können.
    Ihre Tischgenossen fanden sich allmählich wieder ein – Stahr und

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