Die Liebe des letzten Tycoon
andere Frau hatte eine Lücke hinterlassen. Jetzt waren sie allein, und die gemeinsame Basis war noch zu schmal. Sie befanden sich im Nirgendwo. Seine Welt schien sehr fern, die ihre bestand nur aus dem Kopf der Gottheit, der halbgeöffneten Tür.
»Sie sind Irin«, sagte er, bemüht, ihr eine Welt zu bauen.
Sie nickte. »Ich habe lange in London gelebt. Erstaunlich, dass man es noch merkt.«
Aus der Dunkelheit tauchte mit zornigen grünen Augen ein bergan donnernder Autobus auf. Sie schwiegen, bis er vorüber war.
»Ihre Freundin Edna mochte mich nicht«, sagte er. »Ich glaube, sie hat etwas gegen Produzenten.«
»Sie ist auch gerade erst hergezogen. Eine dumme Person, aber sie meint es nicht böse. Ich brauche wohl keine Angst vor Ihnen zu haben.«
Prüfend sah sie ihm ins Gesicht, fand, wie alle, dass er müde aussah – und vergaß das über dem Eindruck, dass er wie eine Kohlenpfanne in einer kühlen Nacht im Freien [111] glühte. »Bestimmt hoffen alle Frauen, durch Sie zum Film zu kommen.«
»Die Hoffnung haben sie längst aufgegeben«, sagte er.
Das stimmte nicht ganz. Sie waren alle noch da und lagerten vor seiner Schwelle, aber das taten sie schon so lange, dass ihre fordernden Stimmen für ihn nicht mehr waren als ein Verkehrsgeräusch auf der Straße. Dennoch war seine Position königlicher als die eines Königs. Ein König konnte nur eine Frau zur Königin machen, Stahr dagegen konnte – so zumindest die allgemeine Ansicht – viele Königinnen schaffen.
»Ich habe mir gerade überlegt, dass man darüber leicht zynisch werden kann«, sagte sie. »Mich wollten Sie aber nicht zum Film bringen?«
»Nein.«
»Das ist gut. Ich bin keine Schauspielerin. In London hat mich mal jemand angesprochen, im Carlton, und gesagt, er würde gern Probeaufnahmen von mir machen. Ich hab es mir überlegt und bin dann nicht hingegangen.«
Sie standen so regungslos da, als könnte er jeden Augenblick gehen und sie im Haus verschwinden. Stahr lachte auf.
»Ich komme mir vor wie ein Spendensammler, der einen Fuß in der Tür hat.«
Auch sie lachte.
»Tut mir leid, dass ich Sie nicht hereinbitten kann. Soll ich meine Jacke holen? Wir könnten uns draußen hinsetzen.«
»Nein.« Er wusste selbst nicht recht, warum es Zeit war zu gehen. Vielleicht würde er sie wiedersehen, vielleicht auch nicht. Es war gut so, wie es war.
[112] »Sie kommen doch ins Studio?«, fragte er. »Ich kann Ihnen nicht versprechen, Sie selbst herumzuführen, aber melden Sie sich unbedingt im Vorzimmer, wenn Sie da sind.«
Ein Stirnrunzeln, ein haarfeiner Schatten zwischen ihren Augen. »Mal sehen«, sagte sie. »Schönen Dank.«
Er begriff, dass sie aus irgendeinem Grund nicht kommen würde – in dieser Sekunde war sie ihm entglitten. Beide spürten, dass der Augenblick verspielt war. Er musste gehen, wenn auch ins Nichts und mit leeren Händen. Nicht einmal etwas so Prosaisches wie ihre Telefonnummer, ihren Namen hatte er erfahren, aber sie jetzt darum zu bitten kam ihm unmöglich vor.
Sie ging mit ihm zum Wagen. Ihre strahlende Schönheit, ihre unerforschte Frische bedrängten ihn, aber als sie aus dem Schatten traten, war ein Fußbreit Mondlicht zwischen ihnen.
»Ist das alles?«, fragte er spontan.
Er sah Bedauern in ihrem Blick, aber es schien auch, als suchten ihre zuckenden Lippen, suchte ihr Lächeln nach einer Ausflucht, ganz kurz hob sich ein Vorhang vor einem verbotenen Gang und senkte sich wieder.
»Ich hoffe, wir sehen uns wieder«, sagte sie fast förmlich.
»Wenn nicht, täte mir das sehr leid.«
Einen Augenblick waren sie sich wieder fern. Aber als er in der nächsten Einfahrt wendete und sah, dass sie noch wartend dastand, während er winkend weiterfuhr, war er beschwingt und glücklich. Wie wunderbar, dass es in dieser Welt eine Schönheit gab, die sich nicht mit den Waagschalen der Castingabteilung bemessen ließ.
[113] Zu Hause aber, wo sein Butler ihm Tee im Samowar machte, fühlte er sich sonderbar allein. Der alte Schmerz war wieder da, lastend und genussvoll zugleich. Als er das erste der beiden Drehbücher in die Hand nahm, die sein abendliches Pensum waren und die er gleich Zeile für Zeile in Bilder auf der Leinwand umsetzen würde, wartete er einen Augenblick und dachte an Minna. Die Sache sei völlig belanglos, erklärte er ihr, niemand könne je so sein wie sie, es täte ihm leid.
Das war im Wesentlichen ein Tag von Stahr. Über die Krankheit, wann sie anfing und so weiter, kann ich nichts sagen,
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