Die Liebe einer Frau
ruhig so lassen.
»Man kann immer noch was Gutes draus machen«, sagte sie. Sie erzählte, sie hätten die Schule um 1960 eingerichtet, bald nachdem sie gehört hatten, dass Cottar tot sei. Cottars Mutter Delia spielte Klavier. Sie spielte, bis sie fast neunzig Jahre alt war und einen Dachschaden bekam. (»Entschuldige«, sagte Sonje, »aber irgendwann wird man mit so was salopp.«) Sonje musste sie in ein Pflegeheim geben und ging jeden Tag hin, um sie zu füttern, obwohl Delia sie nicht mehr erkannte. Und sie holte sich neue Leute fürs Klavier, aber das klappte nicht recht. Außerdem konnte sie selber allmählich den Schülerinnen nichts mehr zeigen, sondern nur noch was sagen. Also sah sie ein, dass es Zeit war aufzugeben.
Was war sie früher für eine stattliche junge Frau gewesen, allerdings nicht sehr mitteilsam. Nicht besonders entgegenkommend, war wenigstens sein Eindruck gewesen. Und jetzt huschte und schwatzte sie nach Art von Menschen, die zu viel allein waren.
»Es lief gut, als wir anfingen, kleine Mädchen begeisterten sich damals fürs Ballett, aber dann kam das alles aus der Mode, weißt du, es war zu förmlich. Aber nie völlig, und dann in den achtziger Jahren zogen viele junge Familien her, die offenbar eine Menge Geld hatten, woher hatten die so viel Geld? Und es hätte wieder toll laufen können, aber ich hab’s irgendwie nicht gepackt.«
Sie sagte, dass vielleicht die Luft heraus war oder der Antrieb weg war, als ihre Schwiegermutter starb.
»Wir waren die allerbesten Freundinnen«, sagte sie. »Immer.«
Die Küche war ein weiterer großer Raum, den die Schränke und Haushaltsgeräte nicht richtig füllten. Der Fußboden bestand aus grauen und schwarzen Fliesen – oder vielleicht aus schwarzen und weißen Fliesen, deren Weiß von schmutzigem Aufwischwasser grau war. Sie gingen durch einen von Regalen gesäumten Flur, Regalen, die bis zur Decke reichten und mit Büchern und zerfledderten Illustrierten voll gestopft waren, vielleicht sogar mit Zeitungen. Ein Geruch nach mürbem, altem Papier. Hier war der Boden mit Sisalläufern ausgelegt, die bis auf eine Seitenveranda reichten, wo Kent endlich die Möglichkeit bekam, sich hinzusetzen. Rattansitzbank und -sessel, und zwar echte, die einiges wert sein könnten, wenn sie nicht unmittelbar vor dem Zerfall stünden. Bambusjalousien, auch nicht im besten Zustand, aufgerollt oder halb heruntergelassen, und draußen verwilderte Sträucher, die an die Fenster drückten. Kent kannte nicht viele Pflanzennamen, aber er erkannte diese Sträucher als eine Sorte, die auf sandigem Boden wuchs. Ihre Blätter waren hart und glänzend – als wären sie in Öl getaucht.
Als sie durch die Küche gingen, hatte Sonje den Kessel für Tee aufgesetzt. Jetzt sank sie in einen der Sessel, als wäre auch sie froh, zu sitzen. Sie hielt ihre schmutzigen, grobknochigen Hände hoch.
»Ich geh gleich mich waschen«, sagte sie. »Ich hab dich gar nicht gefragt, ob du Tee willst. Ich kann auch Kaffee kochen. Oder wenn du magst, lass ich beides weg und mach uns gleich einen Gin Tonic. Warum eigentlich nicht? Hört sich doch gut an.«
Das Telefon klingelte. Ein aufstörendes, lautes, altmodisches Klingeln. Es klang, als käme es aus der Diele gleich nebenan, aber Sonje eilte in die Küche.
Sie redete eine Weile, unterbrach nur kurz, um den Kessel vom Herd zu nehmen, als er pfiff. Er hörte sie »gerade Besuch« sagen und hoffte, sie wimmelte nicht jemanden ab, der sich das Haus ansehen wollte. Ihr genervter Tonfall erweckte bei ihm den Eindruck, dass der Anruf nicht nur ein freundschaftlicher Plausch war und vielleicht etwas mit Geld zu tun hatte. Er gab sich Mühe, nichts mehr davon aufzuschnappen.
Die im Flur gestapelten Bücher und Zeitschriften hatten ihn an Sonjes und Cottars Haus über der Bucht erinnert. Es war das Unwohnliche, Verwahrloste, was ihn daran erinnerte. Das große Zimmer im Erdgeschoss war von einem Kamin beheizt worden, und obwohl – bei seinem einzigen Besuch – ein Feuer darin brannte, quoll er über von alter Asche, verkohlten Apfelsinenschalen und Abfallresten. Überall lagen Bücher und Broschüren. Statt einer Couch stand eine Liege da – man musste entweder mit den Füßen auf dem Boden und nichts im Rücken dasitzen oder raufkrabbeln, sich an die Wand lehnen und die Beine anziehen. So saßen Kath und Sonje. Sie hielten sich aus dem Gespräch fast ganz heraus. Kent saß in einem Sessel, den er von einem Buch befreit hatte, einem Band mit
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