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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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abgegriffenem Umschlag und dem Titel
Der Bürgerkrieg in Frankreich
. So nennen sie also jetzt die Französische Revolution, dachte er. Dann sah er den Namen des Autors, Karl Marx. Aber schon davor fühlte er die Feindseligkeit, die Verurteilung im Raum. So, wie man sich in einem Raum voller frommer Traktate und Jesusbilder, Jesus auf einem Esel, Jesus auf dem See Genezareth, fühlen würde, vor Gericht gestellt und verurteilt. Nicht nur von den Büchern und Druckschriften – es steckte auch in der Kaminschweinerei und dem stark abgetretenen Teppich und den Rupfenvorhängen. Kents Hemd mit Krawatte war falsch. Er hatte das schon an den Blicken geahnt, die Kath darauf geworfen hatte, aber er hatte es nun einmal angezogen und behielt es an. Sie trug eins seiner alten Hemden über Jeans, die von etlichen Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurden. Er hatte das anlässlich einer Einladung zum Abendessen für einen reichlich schlampigen Aufzug gehalten, war aber zu dem Schluss gekommen, dass sie vielleicht in nichts anderes mehr hineinpasste.
    Das war unmittelbar, bevor Noelle geboren wurde.
    Cottar bereitete das Essen zu. Es war ein Curry und, wie sich herausstellte, sehr gut. Sie tranken Bier. Cottar war über dreißig, älter als Sonje und Kath und Kent. Hochgewachsen, schmalschultrig, hohe, kahle Stirn und spärlicher Backenbart. Hastige, leise, heimlichtuerische Sprechweise.
    Ein älteres Ehepaar war auch da, eine Frau mit Hängebusen und ergrauendem, im Nacken zusammengerolltem Haar und ein kleiner, sich kerzengerade haltender Mann in schmuddeliger Kleidung, der aber etwas Adrettes an sich hatte durch seine scharf artikulierende, gereizte Stimme und seine Angewohnheit, mit den Händen säuberliche Quadrate zu formen. Und dann war noch ein junger Mann da, ein Rotschopf mit hervorquellenden, wässrigen Augen und pickeliger Haut. Er machte ein Abendstudium und verdiente sein Geld damit, in einem Lastwagen die für die Botenjungen bestimmten Zeitungsbündel auszufahren. Offenbar hatte er gerade erst damit angefangen, und der ältere Mann, der ihn kannte, hänselte ihn mit der Schande, solch eine Zeitung auszuliefern. Werkzeug der kapitalistischen Klassen, Sprachrohr der Elite.
    Obwohl das mit scherzhaftem Unterton gesagt wurde, konnte Kent es nicht durchgehen lassen. Besser gleich hineinspringen, dachte er, und nicht erst später. Er sagte, er finde an der Zeitung nicht viel auszusetzen.
    Auf so etwas hatten sie nur gewartet. Der ältere Mann hatte schon herausbekommen, dass Kent Pharmazeut war und bei einer der Drugstore-Ketten arbeitete. Und der junge Mann hatte schon gefragt: »Laufen Sie auf der Management-Schiene?«, und zwar so, dass die anderen das als Witz verstanden, nur Kent nicht. Kent hatte geantwortet, das hoffe er.
    Der Curry wurde aufgetragen, und sie aßen und tranken weiter Bier, und das Feuer erhielt frisches Holz, und der Frühlingshimmel wurde dunkel, und die Lichter von Point Grey erschienen auf der anderen Seite des Burrard Inlet, und Kent nahm es auf sich, den Kapitalismus zu verteidigen, den Koreakrieg, die Kernwaffen, John Foster Dulles, die Hinrichtung der Rosenbergs – alles, was sie ihm an den Kopf warfen. Er hatte nur Hohn für den Gedanken, dass amerikanische Konzerne afrikanische Mütter dahin brachten, Trockenmilch zu kaufen, anstatt ihre Babys zu stillen, und dass die Königlich-Kanadische Berittene Polizei Indianer brutal misshandelte, und vor allem für die Vorstellung, Cottars Telefon könnte abgehört werden. Er zitierte aus dem Nachrichtenmagazin
Time
und kündigte diese Zitate an.
    Der jüngere Mann klatschte sich auf die Knie und schüttelte den Kopf und brach in ungläubiges Gelächter aus.
    »Das ist doch nicht zu fassen! Könnt ihr das fassen? Ich nicht.«
    Cottar ließ ein Argument nach dem anderen aufmarschieren und versuchte, seine Verärgerung in Zaum zu halten, denn er hielt sich für einen vernünftigen Menschen. Der ältere Mann erging sich in professoralen Abschweifungen, und die Frau mit dem Hängebusen warf in einem Ton giftgetränkter Höflichkeit Bemerkungen ein.
    »Warum ist Ihnen so viel daran gelegen, die Obrigkeit zu verteidigen, wo immer sie ihr entzückendes Haupt erhebt?«
    Kent wusste es nicht. Er wusste nicht, was ihn anstachelte. Er nahm diese Leute nicht einmal ernst als den Feind. Die drückten sich an den Rändern des wirklichen Lebens herum, hielten flammende Reden und nahmen sich ungeheuer wichtig, wie es Fanatiker jeglicher Couleur taten. Ihnen ging

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