Die Liebe einer Frau
vom Sehen. Sie hat auf mich immer ziemlich schüchtern gewirkt. Das wird ihr peinlich sein.«
»Ach, kein Stück«, sagte Kent. »Die Sorte, die lieben das Gefühl, verfolgt zu werden, dafür leben die.«
Die Leiterin der Stadtbücherei hatte angeblich gesagt, Sonje hätte gar keine Gelegenheit gehabt, Bücher auszusuchen oder junge Menschen zu beeinflussen, sondern den größten Teil ihrer Zeit damit verbracht, Listen zu tippen.
»Was komisch war«, sagte Sonje zu Kath, nachdem sie sich erkannt und angesprochen und auf dem Waldweg eine halbe Stunde lang miteinander unterhalten hatten. Das Komische war, dass sie überhaupt nicht tippen konnte.
Sie war nicht entlassen worden, aber von sich aus gegangen. Sie fand es angebracht, da auf sie und Cottar in der Zukunft ohnehin Veränderungen zukamen.
Kath fragte sich, ob eine der Veränderungen ein Kind sein konnte. Für ihr Gefühl ging das Leben nach dem Schulabschluss als eine Reihe fortgesetzter Prüfungen weiter, die bestanden werden mussten. Die Erste war, zu heiraten. Wenn eine Frau das nicht mit spätestens fünfundzwanzig getan hatte, dann war diese Prüfung im Grunde nicht bestanden worden. (Sie unterschrieb stets mit »Mrs. Kent Mayberry«, wobei sie Erleichterung und ein leises Hochgefühl verspürte.) Dann musste sie daran denken, das erste Kind zu bekommen. Ein Jahr zu warten, bevor sie schwanger wurde, war eine gute Idee. Zwei Jahre zu warten war ein bisschen vorsichtiger als nötig. Und drei Jahre brachten die Leute auf komische Gedanken. Dann ging es irgendwann weiter mit dem zweiten Kind. Danach lag der Weg zunehmend im Dunkeln, und es ließ sich schwer sagen, wo das Ziel lag und wann es erreicht war.
Sonje war keine von den Freundinnen, die erzählten, wie sehr sie versuchten, ein Kind zu kriegen, und wie lange sie es schon versuchten und welche Techniken sie benutzten. Sonje redete nie in dieser Weise über Sex oder über ihre Regel oder ihren Körper – obwohl sie Kath bald Dinge erzählte, die für die meisten Leute wesentlich schockierender gewesen wären. Sie besaß eine würdevolle Grazie – eigentlich hatte sie Balletttänzerin werden wollen, doch dann war sie dafür zu groß geworden, was sie immer bedauerte, bis sie Cottar kennenlernte, der sagte: »Ach, noch so eine höhere Tochter, die hofft, aus ihr wird mal ein sterbender Schwan.« Ihr Gesicht war breit, still, rosig – sie trug nie Make-up, Cottar war gegen Make-up –, und ihr kräftiges blondes Haar war zu einem buschigen Knoten gebunden. Kath fand, sie sah wundervoll aus – engelhaft und dabei intelligent.
Kath und Sonje essen am Strand ihre Pommes und sprechen über Personen in den Erzählungen, die sie gelesen haben. Wie kommt es, dass keine Frau Stanley Burnell lieben kann? Was hat Stanley an sich? Ein großes Kind ist er, mit seiner bedrängenden Liebe, seiner Gier bei Tisch, seiner Selbstzufriedenheit. Wohingegen Jonathan Trout – ach, Stanleys Frau Linda hätte Jonathan Trout heiraten sollen, Jonathan, der durchs Wasser glitt, während Stanley planschte und prustete. »Sei mir gegrüßt, meine himmlische Pfirsichblüte«, sagt Jonathan mit seiner samtigen Bassstimme. Er verfügt über Ironie, er ist feinsinnig und elegisch. »Die Kürze des Lebens, die Kürze des Lebens«, sagt er. Und Stanleys dreiste, laute Welt fällt entlarvt in sich zusammen.
Etwas macht Kath zu schaffen. Sie kann nicht darüber reden oder darüber nachdenken. Ist Kent so ähnlich wie Stanley?
Eines Tages geraten sie in Streit. Kath und Sonje geraten unerwartet in einen erbitterten Streit über eine Erzählung von D. H. Lawrence. Die Erzählung hat den Titel »Der Fuchs«.
Am Ende dieser Erzählung sitzen die Liebenden – ein Soldat und eine Frau namens March – auf den Klippen an der Atlantikküste und schauen nach Westen, hin zu ihrem zukünftigen Heim in Kanada. Sie werden England verlassen, um ein neues Leben zu beginnen. Sie haben sich gebunden, aber sie sind nicht wahrhaft glücklich. Noch nicht.
Der Soldat weiß, dass beide erst dann wahrhaft glücklich sein werden, wenn die Frau ihm ihr Leben hingibt, in einer Weise, wie sie es bisher noch nicht getan hat. March kämpft immer noch gegen ihn an, um sich von ihm abzugrenzen, macht alle beide mit ihrem Bemühen, an ihrer Frauenseele, ihrem Frauenbewusstsein festzuhalten, insgeheim unglücklich. Sie muss damit aufhören – sie muss aufhören zu denken und aufhören zu wollen und ihren Geist untergehen lassen, bis er völlig in seinen
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