Die Liebe in den Zeiten der Cholera
die fast schon so alt war wie er selbst, beherrschen, als er sah, wie die schöne Frau seiner Träume einer Königin gleich in prachtvoller Reife am Arm ihres Ehemannes die in Paradeuniform angetretene Ehrengarde abschritt, im Regen der Papierschlangen und frischen Blütenblätter, die aus den Fenstern auf sie herabgeworfen wurden. Beide dankten winkend für die Ovationen, doch Fermina Daza, von den hochhackigen Schuhen und den Fuchsschwänzen um ihren Hals bis zu dem glockenförmigen Hut ganz in imperiales Gold gekleidet, war so blendend, daß sie allein in der Menschenmenge zu sein schien.
Florentino Ariza erwartete sie zusammen mit den Provinzhonoratioren auf der Kommandobrücke, inmitten von dröhnender Musik und Raketen und des dreimaligen sonoren Tutens der Schiffsirenen, das den Kai in nassen Dampf hüllte. Juvenal Urbino begrüßte die zum Empfang Erschienenen mit der ihm eigenen Natürlichkeit, die jedem das Gefühl gab, gerade für ihn hege der Arzt eine besondere Zuneigung: erst den Kapitän in Galauniform, dann den Erzbischof, dann den Provinzgouverneur und seine Gattin sowie den Bürgermeister mit der seinigen, dann den Garnisonskommandanten, der kürzlich aus der Andenregion hierher versetzt worden war. Hinter dem stand, in schwarzes Tuch gekleidet und beinahe unsichtbar zwischen so vielen Würdenträgern, Florentino Ariza. Nachdem sie den Garnisonskommandanten begrüßt hatte, schien Fermina Daza vor Florentino Arizas ausgestreckter Hand zu zögern. Der Offizier, der sie schon einander vorstellen wollte, fragte sie, ob sie sich kennten. Sie sagte weder ja noch nein, sondern reichte Florentino Ariza mit einem Salonlächeln die Hand. Das hatte sich bereits bei zwei früheren Gelegenheiten so abgespielt und sollte auch noch mehrmals auf diese Weise ablaufen. Florentino Ariza nahm es stets als ein für Fermina Dazas Charakter typisches Verhalten hin. An jenem Nachmittag jedoch fragte er sich in seiner unendlichen Bereitschaft zur Hoffnung, ob eine derart eingefleischte Gleichgültigkeit nicht aufgesetzt sein könnte, um Liebesqualen zu überspielen.
Der bloße Gedanke störte sein Verlangen auf. Wieder strich er um Fermina Dazas Anwesen, mit der gleichen Sehnsucht wie viele Jahre zuvor durch den Parque de los Evangelios, allerdings nicht mit der Absicht, von ihr gesehen zu werden, sondern nur, um sie zu sehen und noch auf der Welt zu wissen. Doch war es jetzt nicht leicht, unbemerkt zu bleiben. Das Viertel La Manga lag auf einer nur zum Teil besiedelten Insel, von der Altstadt durch einen Kanal grünen Wassers getrennt und mit Icaco-Gestrüpp bewachsen, das in der Kolonialzeit den Sonntagspärchen Unterschlupf geboten hatte. In jüngster Zeit war die alte Steinbrücke der Spanier abgetragen und für die Maultierbahn eine neue Brücke aus Ziegelsteinen und mit Ballonlaternen gebaut worden. Am Anfang hatten die Bewohner von La Manga unter einer Belästigung zu leiden, die bei der Bebauung des Gebiets nicht bedacht worden war, sie schliefen nämlich in unmittelbarer Nähe des ersten Elektrizitätswerkes der Stadt, dessen Vibrationen einem ständigen Erdbeben gleichkamen. Nicht einmal Doktor Urbino mit all seinem Einfluß konnte erreichen, daß das Werk an einen Ort verlegt wurde, wo es niemanden störte. Doch dann kam ihm seine erwiesene Komplizenschaft mit der göttlichen Vorsehung zustatten. Eines Tages platzte in einer furchterregenden Explosion der Dampfkessel des Werks, flog über die Neubauten hinweg und dann über die halbe Stadt und zertrümmerte den Kreuzgang des ehemaligen Klosters von San Julian el Hospitalario. Das verfallene alte Gebäude war zu Anfang jenes Jahres aufgegeben worden, der Kessel erschlug jedoch vier Sträflinge, die bei Einbruch der Dunkelheit aus dem Ortsgefängnis ausgebrochen waren und sich in der Kapelle versteckt hielten.
Dieser friedliche Vorort mit seiner hübschen amourösen Tradition war, als er sich in ein Luxusviertel verwandelte, für schwierige Liebschaften allerdings nicht mehr geeignet. Die Straßen waren im Sommer staubig, matschig im Winter und das ganze Jahr über öde. Die wenigen Häuser lagen in schattigen Gärten verborgen, und mit ihren Mosaikterrassen statt der vorspringenden Balkons von ehedem schienen sie wie mit Absicht die heimlichen Liebespärchen zu entmutigen. Zum Glück kam zu jener Zeit die Mode auf, gegen Abend in den alten, neuerdings nur noch von einem Pferd gezogenen Droschken Spazierfahrten zu unternehmen. Die Rundfahrt endete auf einer
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