Die Liebe in den Zeiten der Cholera
einen Überseedampfer der Cunard-Linie nach Panama gestiegen sei und daß sie einen dunklen Schleier getragen habe, damit man ihr nicht die Verheerungen der beschämenden Krankheit, die sie verzehrte, ansähe. Jemand fragte, was für ein schreckliches Leiden sich denn an eine so einflußreiche Dame wage, und bekam eine galletriefende Antwort: »Eine so vornehme Dame kann nur schwindsüchtig sein.« Florentino Ariza wußte, daß die Reichen seiner Heimat keine kurzen Krankheiten hatten. Entweder starben sie plötzlich, meistens am Vorabend eines größeren Festes, das dann durch die Trauer verdorben wurde, oder sie verloschen allmählich, in langwierigen und widerwärtigen Krankheiten, deren Verlauf schließlich in allen Einzelheiten öffentlich bekannt wurde. Der Rückzug nach Panama war im Leben der Reichen fast so etwas wie ein obligater Bußgang. Dort unterzogen sie sich dem, was Gott ihnen auferlegt hatte, im Hospital der Adventisten, einem riesigen weißen Schuppen, verloren in den vorgeschichtlichen Regenfällen von Darien, wo den Kranken das Zeitgefühl für das bißchen Leben, das sie noch vor sich hatten, abhanden kam und niemand in den einsamen Zimmern mit Segeltuchbahnen vor den Fenstern sicher wußte, ob der Karbolgeruch der Gesundheit oder dem Tode zuzurechnen war. Diejenigen, die genasen, kamen mit prachtvollen Geschenken beladen heim, die verteilten sie freigebig und mit einer gewissen Unruhe, gleichsam um Verzeihung heischend für die Taktlosigkeit, noch am Leben zu sein. Manche kehrten zurück, den Unterleib von barbarischen Narben überzogen, die wie mit Schusterzwirn genäht aussahen, sie hoben die Hemden, um Gästen diese Narben zu zeigen, verglichen sie mit denen anderer, die erstickt an den Ausschweifungen des Glücks gestorben waren, und erzählten für den Rest ihres Lebens wieder und wieder von den Engeln, die ihnen im Chloroformrausch erschienen waren. Niemand kannte hingegen die Visionen derer, die nicht zurückkehrten, zu denen die traurigsten gehörten: In den Pavillon der Schwindsüchtigen verbannt, starben sie eher an der Tristesse des Regens als an den Beschwerden ihrer Krankheit.
Vor die Wahl gestellt, hätte Florentino Ariza nicht gewußt, was er sich für Fermina Daza wünschte. Jedenfalls hätte er die Wahrheit allem anderen vorgezogen, selbst wenn sie unerträglich gewesen wäre, doch so sehr er auch suchte, er fand sie nicht. Es erschien ihm unvorstellbar, daß ihm keiner auch nur ein Indiz nennen konnte, das die gehörte Version bestätigte. In der Welt der Flußdampfer, seiner Welt, gab es kein Geheimnis, das gewahrt, und kein vertrauliches Bekenntnis, das für sich behalten werden konnte. Über die Frau mit dem schwarzen Schleier hatte jedoch keiner etwas gehört. Niemand wußte auch nur das Geringste, und das in einer Stadt, wo man über alles Bescheid wußte und vieles sogar bekannt wurde, bevor es geschehen war. Vor allem wenn es die Reichen betraf. Für das Verschwinden von Fermina Daza aber hatte keiner eine Erklärung. Florentino Ariza drehte weiter seine Runden in La Manga, hörte ohne religiöse Inbrunst Messen in der Basilika des Seminars, nahm an öffentlichen Veranstaltungen teil, die ihn in einer anderen Gemütsverfassung niemals interessiert hätten, aber die Zeit verstrich und ließ das Gerücht immer glaubwürdiger erscheinen. Im Haus der Urbinos schien, abgesehen vom Fehlen der Mutter, alles normal zu sein.
Bei so vielen Nachforschungen erfuhr er auch Neuigkeiten, die er gar nicht suchte, etwa die, daß Lorenzo Daza in seinem spanischen Geburtsort gestorben war. Florentino Ariza erinnerte sich daran, ihn viele Jahre lang bei den lauten Schachschlachten im Cafe de la Parroquia gesehen zu haben, mit seiner vom vielen Reden verwüsteten Stimme, zunehmend fetter und grober werdend, während er im Treibsand eines schlechten Alters versank. Sie hatten seit dem unerfreulichen Anisfrühstück im vergangenen Jahrhundert nicht wieder miteinander gesprochen, und Florentino Ariza war davon überzeugt, daß Lorenzo Daza sich mit ebensoviel Groll wie er selbst daran erinnerte, auch noch nachdem er für die Tochter die gute Partie erreicht hatte, die ihm zum einzigen Lebenszweck geworden war. Entschlossen, eine eindeutige Information über den Gesundheitszustand von Fermina Daza zu erhalten, ging Florentino Ariza jedoch wieder ins Cafe de la Parroquia, um sie von ihrem Vater zu bekommen. Das war etwa zu der Zeit, als dort das historische Tournier ausgetragen wurde, bei dem
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