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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Müdigkeit anzumerken. Sie lenkte ein erstaunliches Veloziped, das mit einem sehr hohen Vorderrad, auf dem sie saß, und einem sehr kleinen Hinterrad, das ihr kaum als Stütze diente, schon fast einem Zirkusgefährt ähnelte. Sie trug eine Pluderhose mit roten Bisen und erregte damit die Entrüstung der älteren Damen und das Staunen der Herren, niemand aber blieb angesichts ihrer Geschicklichkeit gleichgültig.
    Zuweilen sah Florentino Ariza plötzlich dieses flüchtige Bild vor sich, wie viele andere aus so vielen Jahren, Bilder, die dann ebenso wieder verschwanden und in seinem Herzen eine Fülle von unruhigem Verlangen hinterließen. Doch sie waren das Maß seines Lebens, denn er hatte die Zeit weniger streng am eigenen Leib gespürt als an Fermina Dazas unmerklichen Veränderungen, wenn er sie jeweils wiedersah. Eines Abends ging er in den Meson de Don Sancho, ein anspruchsvolles altes Restaurant, und setzte sich in die abgelegenste Ecke, wie es seine Art war, wenn er dort allein und wie ein Vögelchen zu Abend aß. Da sah er plötzlich im großen Wandspiegel Fermina Daza, sie saß mit ihrem Mann und zwei anderen Paaren an einem Tisch, und zwar in einem Winkel, in dem er sie in vollem Glanz gespiegelt sehen konnte. Sie war ihm ausgeliefert und führte dabei das Gespräch mit einem Charme und einem Lachen, das wie Feuerwerk aufblitzte, und ihre Schönheit erschien unter den Kristalltränen der Lüster noch leuchtender: Alice war erneut durch den Spiegel getreten.
    Florentino Ariza konnte sie, mit angehaltenem Atem, nach Lust beobachten, er sah sie essen, kaum vom Wein kosten, sah sie mit dem vierten Don Sancho der Sippe scherzen, verlebte mit ihr von seinem einsamen Tisch aus einen Augenblick ihres Lebens und bewegte sich über eine Stunde lang ungesehen im verbotenen Bezirk ihres Privatlebens. Er trank noch vier weitere Tassen Kaffee, um die Zeit zu strecken, bis er sie inmitten der Gruppe hinausgehen sah. Sie kamen so dicht an ihm vorüber, daß er Fermina Dazas Geruch in den Duftströmen der Parfüms ihrer Begleiter ausmachen konnte.
    Von dieser Nacht an belagerte er fast ein Jahr lang zäh den Besitzer des Restaurants, bot ihm Geld an und Vergünstigungen und was immer dieser am meisten in seinem Leben ersehnte, nur damit er ihm den Spiegel verkaufte. Es war kein leichtes Unterfangen, da der alte Don Sancho an die Legende glaubte, daß der kostbare, von einem Wiener Kunsttischler geschnitzte Rahmen das Pendant von einem anderen Spiegel war, der einst Marie Antoinette gehört hatte und spurlos verschwunden war: zwei einzigartige Kostbarkeiten. Als Don Sancho endlich nachgab, hängte Florentino Ariza den Spiegel bei sich zu Hause auf, nicht wegen des meisterhaften Rahmens, sondern wegen der umrahmten Fläche, die zwei Stunden lang von dem geliebten Bild ausgefüllt gewesen war. Fast immer, wenn Florentino Ariza sie sah, schritt Fermina Daza am Arm ihres Mannes einher, sie bewegten sich in vollkommenem Einklang und mit der erstaunlichen Leichtigkeit von siamesischen Zwillingen, die nur durchbrochen wurde, wenn sie ihn begrüßten. Tatsächlich pflegte ihm Doktor Juvenal Urbino mit freundschaftlicher Wärme die Hand zu drücken und erlaubte sich sogar gelegentlich, ihm auf die Schulter zu klopfen. Sie hingegen hielt ihn mit einer unpersönlichen Förmlichkeit auf Distanz und machte nie auch nur die kleinste Geste, aus der er hätte schließen können, daß sie sich seiner aus ihrer unverheirateten Zeit erinnerte. Sie lebten in zwei auseinanderstrebenden Welten, während er jedoch jede Anstrengung unternahm, die Entfernung zu verkürzen, tat sie keinen einzigen Schritt, der nicht in die entgegengesetzte Richtung geführt hätte. Viel Zeit mußte verstreichen, ehe er den Gedanken wagte, daß diese Gleichgültigkeit womöglich nur ein Panzer gegen die Angst war. Das kam ihm plötzlich bei der Taufe des ersten Flußschiffs in den Sinn, das auf einer Werft am Ort gebaut worden war, der erste offizielle Anlaß auch, bei dem Florentino Ariza als Vizepräsident der K. F. K. den Onkel Leon XII. vertrat. Das Zusammentreffen dieser Umstände verlieh dem Festakt eine besondere Feierlichkeit, und daher fehlte auch niemand, der im Leben der Stadt von irgendwelcher Bedeutung war.
    Florentino Ariza widmete sich gerade seinen Gästen im großen Salon des Schiffes, das noch nach frischer Farbe und flüssigem Teer roch, als sich am Kai eine Applaussalve entlud und die Kapelle zu einem Triumphmarsch ansetzte. Er mußte seine Unruhe,

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