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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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sich Jeremiah de Saint-Amour allein zweiundvierzig Gegnern stellte. Damals erfuhr Florentino Ariza, daß Lorenzo Daza gestorben war, und es freute ihn von Herzen, obwohl er wußte, der Preis für diese Freude war unter Umständen, weiterhin ohne die Wahrheit leben zu müssen. Schließlich nahm er hin, daß Fermina Daza sich im Siechen-Spital aufhielt, und sein einziger Trost war ein Sprichwort: Kranke Frauen leben ewig. In seinen mutlosen Tagen beruhigte er sich mit dem Gedanken, daß ihn die Nachricht von Fermina Dazas Tod ohnehin von allein erreichen würde.
    Sie sollte ihn nie erreichen. Fermina Daza hielt sich nämlich lebendig und gesund auf der Hacienda ihrer Kusine Hildebranda Sánchez auf, die dort, eine halbe Meile entfernt von dem Städtchen Flores de Maria, der Welt entrückt lebte. Fermina Daza war ohne Skandal im Einvernehmen mit ihrem Mann gegangen, hilflos wie Halbwüchsige waren sie in die einzige ernsthafte Krise verwickelt, die sie in einer über fünfundzwanzig Jahre stabilen Ehe durchmachten. Sie waren davon in der Ruhe ihrer reifen Jahre überrumpelt worden, als sie sich mit ihren großen und wohlgeratenen Kindern schon vor jeglichem Hinterhalt des Mißgeschicks sicher fühlten; vor ihnen hatte offen die Zukunft gelegen, ohne Bitterkeit das Alter zu erlernen. Für beide war es etwas so Unvorhergesehenes gewesen, daß sie es nicht mit Geschrei, Tränen und Mittelspersonen lösen wollten, wie es in der Karibik üblich war, sondern mit der Weisheit der europäischen Nationen, da sie aber weder ganz von hier noch von dort waren, tappten sie am Ende in einer kindischen Situation herum, die nirgendwohin gehörte. Zuletzt hatte sie beschlossen zu gehen, ohne überhaupt zu wissen, warum oder wozu, bloß aus Wut, und, gelähmt von seinem Schuldbewußtsein, war er nicht in der Lage gewesen, ihr das auszureden. Fermina Daza hatte sich tatsächlich um Mitternacht mit größter Diskretion, das Gesicht hinter einem Trauerschleier verborgen, eingeschifft, allerdings nicht auf einem Überseedampfer der Cunard-Linie mit Kurs auf Panama, sondern auf das fahrplanmäßige Boot nach San Juan de la Ciénaga, ihre Geburtsstadt, in der sie bis zur Pubertät gelebt hatte und nach der sie mit den Jahren ein immer unerträglicheres Heimweh verspürte. Gegen den Willen des Ehemanns und gegen die Sitten der Zeit nahm sie als Begleitung nur eine fünfzehnjährige Pflegetochter mit, die bei den Dienstboten im Haus aufgewachsen war, ihre Reise war aber den Kapitänen der Schiffe und den jeweiligen Hafenbehörden gemeldet worden. Als sie spontan die Entscheidung getroffen hatte, eröffnete sie den Kindern, daß sie zur Erholung drei Monate zu der Tante Hildebranda führe, war aber entschlossen, dortzubleiben. Doktor Juvenal Urbino kannte ihren standhaften Charakter nur zu gut und war so betrübt, daß er es demütig als Strafe Gottes für seine schwere Schuld akzeptierte. Die Lichter des Schiffes waren jedoch noch nicht außer Sicht, als beide ihr Unvermögen bereuten. Obwohl sie einen förmlichen Briefwechsel über das Befinden der Kinder und andere häusliche Angelegenheiten aufrechterhielten, vergingen fast zwei Jahre, ohne daß weder der eine noch der andere einen für ihren Stolz gangbaren Weg zurückgefunden hätte. Im zweiten Jahr kamen die Kinder in den Schulferien nach Hores de Maria, und Fermina Daza unternahm das Unmögliche, um den Anschein zu erwecken, daß sie mit ihrem neuen Leben zufrieden war. Dies war zumindest der Schluß, den Juvenal Urbino aus den Briefen des Sohnes zog. Außerdem war in jenen Tagen der Erzbischof von Riohacha auf einer Hirtenreise in dieser Gegend unterwegs. Er kam unter einem Pallium auf seinem berühmten weißen Maultier mit den goldbestickten Schabracken angeritten. Ihm folgten Pilger aus abgelegenen Regionen, Akkordeonspieler, fliegende Händler mit Eßwaren und Amuletten, und die Hacienda war drei Tage lang von Invaliden und Hilflosen belagert, die in Wirklichkeit nicht wegen der gelehrten Predigten und des vollständigen Sündenablasses kamen, sondern auf die Gunst des Maultiers hofften, von dem es hieß, daß es hinter dem Rücken seines Herrn Wunder vollbringe. Der Bischof hatte seit seiner Zeit als einfacher Priester im Haus der Urbinos de la Calle verkehrt und setzte sich eines Mittags von seinem Jahrmarkttroß ab, um im Gutshaus bei Hildebranda zu speisen. Nach dem Essen, bei dem nur von irdischen Angelegenheiten die Rede war, zog er Fermina Daza beiseite und wollte ihre Beichte

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