Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Frau sich zu dieser Tageszeit einer eiligen Liebe hingeben würde, schon gar nicht mit einem Besucher, während sie eigentlich das Haus fegen, die Betten machen, Einkäufe erledigen und das Mittagessen kochen mußte, vielleicht noch mit der Angst, eines ihrer Kinder könne, von einem Steinwurf verletzt, vorzeitig aus der Schule heimgeschickt werden und sie dann um elf Uhr vormittags dabei ertappen, wie sie nackt unter einem Arzt im ungemachten Bett lag. Andererseits wußte Fermina Daza, daß ihr Mann sich nur nachts und am liebsten bei völliger Dunkelheit der Liebe hingab, allenfalls noch vor dem Frühstück beim Zwitschern der ersten Vögel. Danach, sagte er, sei die Anstrengung des Aus- und Anziehens größer als der Genuß einer Liebe am Morgen. Also konnte es nur während eines Hausbesuchs zur Verseuchung der Wäsche kommen oder aber in irgendeinem den Schach- oder Kinoabenden gestohlenen Moment. Letzteres war schwer zu klären, da Fermina Daza, anders als viele ihrer Freundinnen, zu stolz war, dem Ehemann nachzuspionieren oder jemand zu bitten, es für sie zu tun. Im übrigen war die Zeit der Hausbesuche, die für die Untreue am geeignetsten schien, auch am leichtesten zu kontrollieren, da Doktor Juvenal Urbino genauestens über jeden einzelnen seiner Patienten Buch führte, den Stand der Honorarabrechnung inbegriffen, und zwar von dem Augenblick an, da er ihn zum ersten Mal aufsuchte, bis zu der Stunde, in der er ihn mit einem letzten Kreuz und einem Spruch für das Wohlergehen der Seele von dieser Welt verabschiedete. Im Laufe von drei Wochen hatte Fermina Daza ein paar Tage lang nicht den Geruch an der Kleidung festgestellt, ihn plötzlich wieder gerochen, als sie es am wenigsten erwartete, und hatte ihn dann, aufdringlicher denn je, mehrmals hintereinander bemerkt, obwohl an einem dieser Tage ein Familienfest gewesen war und sie sich keinen Augenblick lang getrennt hatten. Eines Nachmittags stand sie dann in der Praxis ihres Mannes, gegen ihre Gewohnheit und auch gegen ihre Absicht, so als sei es nicht sie, sondern eine andere, die da etwas tat, was sie selbst nie getan hatte, nämlich mit einer zierlichen Lupe aus Bengalen die verschlungenen Notizen von den Hausbesuchen der letzten Monate zu entziffern. Es war das erste Mal, daß sie allein das von Kreosotgerüchen erfüllte Arbeitszimmer betrat, das vollgestopft war mit in Häute unbekannter Tiere gebundenen Büchern, mit vergilbten Bildern von Schulklassen, Ehrenpergamenten, Astrolabien und Phantasiedolchen, die er in all den Jahren gesammelt hatte. Dieses heimliche Allerheiligste ihres Mannes hatte sie immer für den einzigen Bereich seines Privatlebens angesehen, zu dem sie, da er in die Liebe nicht mit einbezogen war, keinen Zutritt hatte, also war sie nur ein paarmal, immer mit ihm zusammen, dort gewesen, und stets nur wegen eiliger Angelegenheiten. Sie fühlte sich nicht berechtigt, allein den Raum zu betreten, schon gar nicht, um Nachforschungen anzustellen, die ihr ungehörig erschienen. Doch nun stand sie dort. Sie wollte die Wahrheit herausfinden und suchte sie mit einer Begierde, die der entsetzlichen Angst, sie zu finden, kaum entsprach, sie wurde von einem unbeherrschbaren Sturmwind getrieben, der mächtiger war als ihr angeborener Stolz, mächtiger auch als ihre Würde: eine überwältigende Qual.
Sie konnte sich keine Klarheit verschaffen, da die Patienten ihres Mannes, gemeinsame Freunde ausgenommen, auch zu seinem Herrschaftsmonopol gehörten, Personen ohne Identität, die nicht an ihren Gesichtern, sondern an ihren Schmerzen zu erkennen waren, nicht an ihrer Augenfarbe oder ihren Herzensergießungen, sondern an der Größe ihrer Leber, dem Belag ihrer Zunge, den Sedimenten ihres Urins und an den Halluzinationen ihrer Fiebernächte. Es waren Menschen, die an ihren Mann glaubten, die glaubten, durch ihn zu leben, während sie tatsächlich für ihn lebten und am Ende auf den in seiner Handschrift unter den medizinischen Befund geschriebenen Spruch reduziert wurden: Geh unbesorgt, auf Gottes Wegen ist Gottes Segen. Nach zwei unnützen Stunden verließ Fermina Daza das Arbeitszimmer mit dem Gefühl, einer unsittlichen Versuchung nachgegeben zu haben.
Von ihrer Phantasie angestachelt, begann sie die Veränderungen an ihrem Mann zu beobachten. Er schien ihr auszuweichen, zeigte sich appetitlos bei Tisch und im Bett, neigte zu Aufregung und ironischen Repliken und glich daheim nicht mehr dem ruhigen Mann von ehedem, sondern einem eingesperrten
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