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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Altersflecken, zu ihrem stahlblauen Haar, das auf Wangenhöhe schräg geschnitten war. Alles, was noch an ihr Hochzeitsbild erinnerte, war das Leuchten in ihren mandelbraunen Augen und die angeborene stolze Haltung, doch was ihr von alters wegen abging, glich sie reichlich durch Charakter und überreichlich durch Umsicht aus. Sie fühlte sich wohl: Weit zurück lagen die Jahrhunderte der Eisenkorsetts, der eingeschnürten Taillen, der kraft Stoffarrangements hochsitzenden Hüftpartien. Die befreiten Körper atmeten nach Lust und zeigten sich, wie sie waren. Auch noch mit zweiundsiebzig Jahren.
    Doktor Urbino sah sie vor dem Toilettentisch unter den langsamen Hügeln des elektrischen Ventilators sitzen und den glockenförmigen Hut aufsetzen, den Veilchen aus Filz schmückten. Das Schlafzimmer war geräumig und licht, ein englisches Bett mit einem feinmaschigen rosa Moskitonetz stand darin, durch die zwei zu den Bäumen des Innenhofs offenen Fenster drang das Dröhnen der Zikaden herein, die von dem sich ankündigenden Regen aufgestört waren. Seit der Rückkehr von ihrer Hochzeitsreise wählte Fermina Daza die Kleidung ihres Mannes je nach Gelegenheit und Wetterlage aus und legte sie am Abend geordnet auf einen Stuhl, damit er, wenn er morgens aus dem Bad kam, alles bereit fand. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, wann sie begonnen hatte, ihm auch beim Anziehen zu helfen, und wann sie dazu übergegangen war, ihn ganz anzuziehen, sie war sich aber dessen bewußt, daß sie es erst aus Liebe getan hatte, seit etwa fünf Jahren aber hatte sie keine andere Wahl, da er sich nicht mehr allein ankleiden konnte. Sie hatten gerade ihre goldene Hochzeit gefeiert und konnten keinen Augenblick ohne den anderen sein oder nicht an ihn denken und konnten es immer weniger, je schlimmer ihnen das Alter zusetzte. Weder er noch sie hätten sagen können, ob diese gegenseitigen Dienstleistungen auf Liebe oder Bequemlichkeit gründeten, hatten es sich aber auch nie mit der Hand auf dem Herzen gefragt. Beide zogen es seit jeher vor, die Antwort nicht zu kennen. Sie hatte nach und nach die Unsicherheit in den Schritten ihres Mannes entdeckt, seine Stimmungsstürze, die Risse in seinem Gedächtnis, seine neuerliche Angewohnheit, im Schlaf zu schluchzen, sah darin aber nicht die unverwechselbaren Anzeichen des letzten Rosts, sondern eine glückliche Rückkehr zur Kindheit. Daher behandelte sie ihn nicht wie einen schwierigen Greis, sondern wie ein seniles Kind, und dieser Selbstbetrug war für beide ein Gottesgeschenk, denn er rettete sie vor dem Mitleid.
    Das Leben wäre für sie ganz anders verlaufen, hätten sie beizeiten gewußt, daß es leichter ist, die großen Ehekatastrophen durchzustehen als die winzigen tagtäglichen Miseren. Doch wenn sie etwas zusammen gelernt hatten, so war es, daß wir Weisheit erst erlangen, wenn sie uns nichts mehr nützt. Fermina Daza hatte jahrelang mit bitterem Herzen das jubelnde Erwachen ihres Mannes über sich ergehen lassen. Sie klammerte sich an die letzten Fäden des Schlafs, um sich nicht der Fatalität eines neuen Morgens voll finsterer Vorzeichen zu stellen, während er mit der Unschuld eines Neugeborenen erwachte: Jeder neue Tag war ein gewonnener Tag. Sie hörte ihn mit den Hähnen aufwachen, sein erstes Lebenszeichen war ein grundloser Husten, wie absichtlich, um auch sie zu wecken. Sie hörte ihn brummein, nur um sie unruhig zu machen, während er nach den Pantoffeln tastete, die neben dem Bett stehen mußten. Sie hörte, wie er sich im Dunkeln tappend den Weg ins Badezimmer bahnte. Sie schlief wieder ein, während er in seinem Studierzimmer arbeitete, und wurde nach einer Stunde abermals geweckt, wenn er zurückkam, um sich, noch immer ohne Licht, anzuziehen. Einmal, bei einem Gesellschaftsspiel, war er gefragt worden, wie er sich selbst definiere, und er hatte gesagt: »Ich bin ein Mann, der sich im Dunkeln anzieht.« Sie horchte, wohl wissend, daß keines der Geräusche unbedingt nötig war und daß er sie absichtlich machte, auch wenn er das Gegenteil vorgab, so wie sie ihrerseits wach war und vorgab, es nicht zu sein. Seine Motive waren eindeutig: Nie brauchte er sie so sehr, lebendig und luzide, wie in jenen Minuten der Bedrängnis. Keine war wie sie elegant im Schlaf, den Körper in einer tänzerischen Pose und eine Hand an der Stirn, aber es gab auch keine, die so wild wurde, wenn man sie in dem Gefühl, noch zu schlafen, störte, selbst wenn sie tatsächlich schon nicht mehr schlief.

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