Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Monats badeten, und dann in einer Brühe, die von eben dem Dreck verunreinigt war, den sie sich vom Körper schaffen wollten. Also ließen sie einen großen Trog aus massivem Gujakholz nach Maß anfertigen, in dem Fermina Daza ihren Mann mit dem gleichen Ritual wie neugeborene Kinder badete. Das Bad dehnte sich über eine Stunde aus, wurde mit weichem Wasser und aufgebrühten Malvenblättern und Orangenschalen bereitet und hatte eine derart beruhigende Wirkung auf ihn, daß er manchmal in dem parfümierten Aufguß einschlief. Nach dem Bad half Fermina Daza ihm beim Ankleiden, stäubte ihm Talkumpuder zwischen die Beine, salbte ihm die aufgescheuerten Stellen mit Kakaobutter ein, zog ihm die Unterhosen so liebevoll an, als seien es Windeln, und kleidete ihn weiter an, Stück für Stück, von den Strümpfen bis zum Krawattenknoten mit der Topasnadel. Die ehelichen Morgende wurden geruhsamer, weil er sich wieder in der Kindheit einrichtete, aus der ihn seine Kinder verdrängt hatten. Und sie war endlich im Einklang mit dem Stundenplan der Familie, denn die Jahre vergingen auch für sie, und noch bevor sie siebzig geworden war, wachte sie morgens vor ihrem Mann auf.
Am Pfingstsonntag, als er die Decke hochhob, um die Leiche von Jeremiah de Saint-Amour zu sehen, offenbarte sich Doktor Urbino etwas, das sich ihm auch bei seinen scharfsichtigsten Betrachtungen als Arzt und gläubiger Christ bisher entzogen hatte. Es war, als habe er nach so vielen Jahren der Vertrautheit mit dem Tod, den er so lange bekämpft und hin- und hergewendet hatte, zum ersten Mal gewagt, ihm ins Antlitz zu schauen, und da hatte der Tod auch ihn angeschaut. Es war nicht Angst vor dem Tod. Nein: Die Angst war seit vielen Jahren in ihm, lebte mit ihm, war ein zweiter Schatten auf seinem Schatten, seit jener Nacht, in der er verstört von einem Alptraum aufgewacht und ihm plötzlich bewußt geworden war, daß der Tod nicht nur, wie er es immer empfunden hatte, eine ständige Möglichkeit war, sondern eine bevorstehende Wirklichkeit. An diesem Tag hingegen hatte er die körperliche Gegenwart von etwas geschaut, das bis dahin nicht mehr als eine denkbare Gewißheit gewesen war. Es freute ihn, daß Jeremiah de Saint-Amour das Instrument der göttlichen Vorsehung für diese überwältigende Offenbarung gewesen war, denn er hatte ihn schon immer für einen Heiligen gehalten, der seinen eigenen Zustand der Gnade nicht kannte. Als der Brief ihm aber dann die wahre Identität dieses Mannes entdeckte, seine finstere Vergangenheit und seine unglaubliche Verstellungsgabe, spürte er, daß etwas Endgültiges in seinem Leben geschehen war. Es gab kein Zurück.
Fermina Daza, die ihm half, die Beine in die Hose zu stecken, und ihm die lange Knopfleiste des Hemdes schloß, ließ sich jedoch, obwohl er es darauf anlegte, nicht von seiner düsteren Stimmung anstecken, denn sie war nicht leicht zu beeindrucken, und erst recht nicht von dem Tod eines Mannes, den sie nicht liebte. Sie wußte gerade, daß Jeremiah de Saint-Amour, den sie nie gesehen hatte, ein Invalide an Krücken war, der einst vor einem Erschießungspeloton bei einem der vielen Aufstände auf einer der vielen Antilleninseln geflohen war, daß er aus Not Kinderfotograf geworden war und beim Schach jemanden geschlagen hatte, den sie als Torremolinos in Erinnerung hatte, der aber in Wirklichkeit Capablanca hieß.
»Nun, er war nichts anderes als ein Flüchtling aus Cayenne und wegen eines grauenvollen Verbrechens zu lebenslanger Kettenhaft verurteilt«, sagte Doktor Urbino. »Stell dir vor, er hat sogar Menschenfleisch gegessen.« Er gab ihr den Brief, dessen Geheimnisse er mit ins Grab nehmen wollte, doch sie verwahrte die zusammengefalteten Blätter ungelesen in ihrem Toilettentisch und schloß die Schublade ab. Sie kannte an ihrem Mann diese unauslotbare Fähigkeit zu staunen, auch seine überzogenen Urteile, die mit den Jahren immer verbiesterter wurden, bis hin zu einer Engstirnigkeit, die nicht zu dem Bild paßte, das man sich von ihm in der Öffentlichkeit machte. Diesmal aber war er selbst für seine Verhältnisse zu weit gegangen. Sie nahm an, daß er in Jeremiah de Saint-Amour nicht den Mann geschätzt hatte, der dieser früher einmal gewesen war, sondern denjenigen, der er zu sein begann, als er mit nichts als dem Bündel des Exilierten auf dem Rücken in die Stadt kam. Sie konnte deshalb nicht verstehen, warum ihn die späte Entdeckung der wahren Identität dermaßen konsternierte. Sie begriff
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