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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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bedeckten Käfig ins Haus, obwohl Doktor Urbino argwöhnte, daß sein chronischer Rotz für die Atemwege der Menschen gefährlich sein könnte. Viele Jahre lang stutzte man ihm die Flügel und ließ ihn frei, damit er mit seinem Gang eines alten Reiters nach Laune herumlaufen konnte. Eines Tages aber begann er akrobatische Kunststückchen auf den Küchenbalken zu vollführen und fiel mit dem maritimen Schrei Mann über Bord in den Fleischtopf, hatte dabei aber viel Glück, denn der Köchin gelang es, ihn mit der Schöpfkelle herauszuholen, verbrüht und federlos, aber noch lebend. Von da an ließen sie ihn gegen den Volksglauben, daß eingesperrte Papageien das Gelernte vergessen, auch tagsüber im Käfig und holten ihn nur um vier Uhr, wenn es frischer wurde, für die Lektionen von Doktor Urbino auf die Patioterrasse heraus. Niemand hatte rechtzeitig bemerkt, daß seine Flügel zu lang gewachsen waren, und als man sie ihm an jenem Morgen dann schneiden wollte, war er auf die Spitze des Mangobaumes entflogen. Es war nach drei Stunden noch nicht gelungen, ihn einzufangen. Die Dienstmädchen des Hauses, unterstützt von anderen aus der Nachbarschaft, versuchten ihn auf jede nur mögliche Weise herunterzulocken, doch er blieb unbeirrt auf seinem Platz, lachte lauthals und schrie: Es lebe die Liberale Partei, es lebe die Liberale Partei, Carajo! - ein wagemutiger Ruf, der schon mehr als vier harmlosen Trunkenbolden das Leben gekostet hatte. Doktor Urbino konnte den Vogel kaum zwischen dem Laub ausmachen, er versuchte ihn auf spanisch und französisch, ja sogar auf lateinisch zu überreden, und der Papagei antwortete jeweils in derselben Sprache, mit der gleichen Emphase und in der gleichen Stimmlage, rührte sich aber nicht von seinem Zweig. Davon überzeugt, daß es niemand im Guten schaffen würde, befahl Doktor Urbino, die Feuerwehr zu Hilfe zu holen, die sein neuestes gemeinnütziges Spielzeug war. Bis vor kurzem waren in der Tat die Brände von Freiwilligen gelöscht worden, die mit von irgendwoher angeschleppten Wassereimern auf Maurerleitern standen, und das Durcheinander bei den Löscharbeiten war so groß gewesen, daß diese zuweilen mehr Verheerung als die Brände anrichteten. Seit dem vergangenen Jahr aber gab es dank einer Geldsammlung, angeregt von der Gesellschaft für den Ausbau öffentlicher Einrichtungen, deren Ehrenpräsident Juvenal Urbino war, eine Berufsfeuerwehr und einen Löschwasserwagen mit Sirene, Glocke und zwei Hochdruckschläuchen. Die Feuerwehr war der letzte Schrei, so daß, immer wenn die Kirchenglocken Sturm läuteten, in den Schulen sogar der Unterricht unterbrochen wurde, damit die Kinder sich den Kampf gegen das Feuer ansehen konnten. Anfangs war Löschen das einzige, was die Feuerwehr tat. Doch Doktor Urbino erzählte den städtischen Behörden, daß er in Hamburg gesehen habe, wie Feuerwehrleute ein Kind wiedererweckten, das sie nach einem dreitägigen Schneesturm erfroren in einem Keller gefunden hatten. In einer neapolitanischen Gasse hatte er sie auch dabei beobachtet, wie sie von einem Balkon im zehnten Stock einen Sarg mit dem Toten herabließen, da die Treppen des Gebäudes derart verwinkelt waren, daß es die Familie nicht geschafft hatte, ihn auf die Straße herunterzubringen. So kam es, daß die örtlichen Feuerwehrleute lernten, auch andere Notdienste zu leisten, sie brachen Schlösser auf oder töteten giftige Schlangen, und im Medizinischen Institut war für sie ein spezieller Lehrgang in Erster Hilfe bei kleineren Unfällen abgehalten worden. Es war also keine Zumutung, sie um den Gefallen zu bitten, den Papagei vom Baum zu holen, dessen Verdienste nicht geringer waren als die eines Caballeros. Doktor Urbino sagte: »Richtet ihnen aus, daß ich darum bitte.« Dann ging er ins Schlafzimmer, um sich für das Festmahl umzukleiden. In Wahrheit ließ ihn, den der Brief von Jeremiah de Saint-Amour bedrückte, das Schicksal des Papageien im Augenblick kalt. Fermina Daza hatte ein seidenes Hängerkleid angezogen, weit, locker und mit tiefsitzender Taille, sie hatte eine echte Perlenkette in sechs unregelmäßigen Reihen umgehängt und ein paar hochhackige Atlasschuhe an, die sie nur bei sehr feierlichen Gelegenheiten trug, da ihr die Jahre solche Unvernunft nicht mehr erlaubten. Diese modische Aufmachung schien einer ehrwürdigen Großmutter kaum angemessen, paßte jedoch zu ihrem langknochigen Körper, der noch gerade und schlank war, zu ihren geschmeidigen Händen ohne

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