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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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merkte es gerade noch rechtzeitig. Er hatte nicht den Mut, seine eigenen Vorurteile herauszufordern: Er gab nach. Nicht in dem Sinne, daß er zugegeben hätte, im Badezimmer sei Seife gewesen, das hätte die Wahrheit beleidigt, aber doch dahingehend, daß er darauf drang, weiterhin im gleichen Haus zusammen zu leben, allerdings in getrennten Zimmern und ohne das Wort aneinander zu richten. So aßen sie gemeinsam und handhabten die Situation mit solchem Geschick, daß sie sich Botschaften von der einen zur anderen Seite des Tisches über die Kinder zukommen ließen, ohne daß diese bemerkt hätten, daß sie nicht miteinander sprachen. Da das Arbeitszimmer kein Bad hatte, löste dieser Umstand den Konflikt des morgendlichen Lärms, denn er ging erst ins Bad, nachdem er die Vorlesung vorbereitet hatte, und traf wirklich Vorsichtsmaßnahmen, um seine Frau nicht zu wecken. Mitunter trafen sie aufeinander und lösten sich vor dem Schlafengehen mit dem Zähneputzen ab. Nachdem vier Monate vergangen waren, hatte er sich einmal zum Lesen aufs Ehebett gelegt, weil sie noch im Bad war, was häufig vorkam, und war dabei eingeschlafen. Sie legte sich ziemlich unsanft an seine Seite, er sollte aufwachen und gehen. Er wachte auch tatsächlich halb auf, statt aufzustehen, löschte er aber die Nachttischlampe und machte es sich auf seinem Kopfkissen bequem. Sie rüttelte an seiner Schulter, um ihn daran zu erinnern, daß er ins Arbeitszimmer gehen müsse, er fühlte sich jedoch im Federbett der Urgroßeltern wieder so wohl, daß er es vorzog, zu kapitulieren. »Laß mich hier«, sagte er. »Es war Seife da.« Wenn sie sich später, schon an der Wegbiegung zum Alter, an diese Episode erinnerten, konnten weder er noch sie die erstaunliche Wahrheit glauben, daß dieser Streit der ernsteste in einem halben Jahrhundert gemeinsamen Lebens gewesen war, der einzige auch, der in beiden den Wunsch geweckt hatte, aufzugeben und das Leben neu und anders zu beginnen. Selbst als sie schon alt und friedfertig geworden waren, hüteten sie sich davor, den Vorfall anzusprechen, denn die kaum vernarbten Wunden hätten wieder zu bluten begonnen, als seien sie von gestern.
    Er war der erste Mann gewesen, den Fermina Daza urinieren hörte. Sie hörte ihn in der Hochzeitsnacht, in der Kabine des Schiffs, das sie nach Frankreich trug, während sie seekrank darniederlag, und das Tosen seines Pferdewasserfalls erschien ihr so machtvoll und so herrisch, daß es ihre Angst vor den befürchteten Verletzungen noch steigerte. Diese Erinnerung kam ihr häufig in den Sinn, als die Jahre den Wasserfall nach und nach abschwächten, weil sie sich nicht damit abfinden konnte, daß er jedesmal einen nassen Klosettrand hinterließ. Doktor Urbino versuchte sie mit für jeden, der sie verstehen wollte, leicht einsichtigen Argumenten davon zu überzeugen, daß dieses Mißgeschick sich nicht, wie sie behauptete, wegen seiner Unachtsamkeit täglich wiederholte, sondern aus einem organischen Grund: Sein jugendlicher Strahl war so bestimmt und direkt gewesen, daß er in der Schule mit seiner Zielsicherheit beim Flaschenfüllen Turniere gewonnen hatte, doch durch den Altersverschleiß war der Strahl nicht nur schwächer geworden, sondern hatte sich auch gekrümmt, verzweigt und schließlich in ein eigenwilliges Brünnlein verwandelt, und das trotz aller Anstrengungen, ihn zu begradigen. Er sagte: »Das Klosett muß jemand erfunden haben, der nichts von Männern verstand.« Zum häuslichen Frieden trug er mit einer täglichen Geste bei, die eher ein Zeichen von Demütigung als von Demut war: Er wischte die Ränder des Klosetts nach jeder Benutzung mit Klopapier ab. Sie wußte das, sagte aber nie etwas, solange die Ammoniakdämpfe im Bad nicht zu offenkundig wurden, dann erklärte sie, als decke sie ein Verbrechen auf: »Hier stinkt es nach Kaninchenstall.« Am Vorabend des Greisenalters brachte ihn die Körperstörung selbst auf die endgültige Lösung: Er pinkelte wie sie im Sitzen, was die Brille sauber und ihn im Zustand der Gnade beließ. Damals kam er schon ziemlich schlecht alleine zurecht, und nachdem er im Bad ausgerutscht war, was fatal hätte enden können, nahm er vom Duschen Abstand. Im Haus, immerhin eines der modernen, fehlte die löwenfüßige Zinkbadewanne, die man in den Herrenhäusern der Altstadt benutzte. Er hatte aus einem hygienischen Grund darauf verzichtet: Die Badewanne gehöre zu den vielen Schweinereien der Europäer, die nur am letzten Freitag jeden

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