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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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späten Regenfälle stattfand. Sie bemerkte das Risiko am Morgen desselben Tages, als sie zum Hochamt aufbrach, erschrak über die Luftfeuchtigkeit und sah, daß der Himmel schwer und niedrig hing und man den Horizont des Meeres nicht erkennen konnte. Trotz dieser unheilvollen Zeichen erinnerte sie der Direktor der Sternwarte, den sie bei der Messe traf, daran, daß es in der wechselhaften Geschichte der Stadt selbst nach den grausamsten Wintern nie zu Pfingsten geregnet hatte. Schlag zwölf Uhr jedoch, als bereits viele der Gäste im Freien ihren Aperitif tranken, ließ das Krachen eines einsamen Donners die Erde erzittern, und ein böser Wind von See wirbelte die Tische durcheinander, hob die Sonnenzelte in die Lüfte, und mit einem entsetzlichen Platzregen brach der Himmel über das Fest herein.
    Im Durcheinander des Unwetters traf Doktor Juvenal Urbino zusammen mit den letzten Gästen ein, denen er unterwegs begegnet war, und wollte wie diese vom Wagen bis zum Haus über die Steine des verschlammten Hofs springen, mußte dann aber am Ende die Peinlichkeit hinnehmen, unter einem gelben Segeltuchschirm von Don Sanchos Männern auf Armen getragen zu werden. Die Tische waren, so gut es ging, im Inneren des Hauses wieder aufgestellt worden, sogar in den Schlafzimmern, und die Gäste gaben sich keinerlei Mühe, ihre Schiffbruchstimmung zu überspielen. Es war heiß wie im Kesselraum eines Schiffes, da man die Fenster hatte schließen müssen, damit der Regen nicht vom Wind hereingepeitscht wurde. Draußen im Hof hatte es für jeden Gast Tischkarten gegeben, die eine Seite des Patios hatte man, wie es Sitte war, für die Frauen, die andere für die Männer reserviert. Doch die Tischkarten gerieten im Haus durcheinander, und jeder setzte sich, wie es kam, in einer der höheren Gewalt gehorchenden Promiskuität, die wenigstens einmal unseren gesellschaftlichen Aberglauben durchkreuzte. Inmitten der Katastrophe schien Aminta de Olivella überall gleichzeitig zu sein, das Haar durchnäßt und das prachtvolle Kleid mit Schlamm bespritzt, doch sie trug das Unglück mit dem von ihrem Mann erlernten unbesiegbaren Lächeln, um nicht dem Mißgeschick noch einen Gefallen zu tun. Mit Hilfe ihrer Töchter, die in derselben Schmiede gestählt worden waren, gelang es ihr, die Sitzordnung des Ehrentisches weitgehend aufrechtzuerhalten, Doktor Juvenal Urbino in der Mitte und Erzbischof Obdulio y Rey zu seiner Rechten. Fermina Daza setzte sich wie gewöhnlich neben ihren Mann, aus Furcht, er könne während des Essens einnicken oder sich die Suppe aufs Revers kleckern. Den Platz gegenüber belegte Doktor Lácides Olivella, ein Mann in den Fünfzigern mit femininem Gebaren, der sich sehr gut gehalten hatte und dessen fröhliche Laune in keinerlei Beziehung zu seinen treffsicheren Diagnosen stand. Am übrigen Tisch versammelten sich die Würdenträger aus Stadt und Provinz und die Schönheitskönigin des vergangenen Jahres, die der Gouverneur am Arm hereinführte, um sie an seine Seite zu setzen. Obwohl eine Kleidervorschrift bei Einladungen nicht üblich war, erst recht nicht bei einem ländlichen Festessen, trugen die Damen mit Edelsteinen geschmückte Abendkleider, und die Mehrzahl der Männer war im dunklen Anzug mit schwarzer Krawatte erschienen, einige im Cut. Nur die wahrhaft welterfahrenen, unter ihnen Doktor Urbino, trugen Tagesanzüge. Auf jedem Platz lag ein Exemplar der auf französisch gedruckten Speisekarte, die mit goldenen Vignetten verziert war.
    Frau Olivella lief, besorgt über die verheerende Hitze, durchs Haus und bat alle, doch die Jacken beim Essen abzulegen, aber niemand traute sich, den Anfang zu machen. Der Erzbischof wies Doktor Urbino darauf hin, daß dies in gewisser Hinsicht ein historisches Essen sei: saßen doch erstmals, nachdem nun die Wunden vernarbt und der Groll sich gelegt hatte, jene beiden Parteien an einem Tisch, die seit der Unabhängigkeit das Land in Bürgerkriegen hatten bluten lassen. Dieser Gedanke paßte zu der Begeisterung der Liberalen, insbesondere der Jungen, denn nach fünfundvierzig Jahren konservativer Hegemonie hatten sie erreicht, daß ein Präsident ihrer Partei gewählt worden war. Doktor Urbino war nicht einverstanden: Ein liberaler Präsident erschien ihm weder schlechter noch besser als ein konservativer, nur schlechter gekleidet. Er wollte dem Erzbischof aber nicht widersprechen. Obwohl er ihn gern darauf hingewiesen hätte, daß zu diesem Essen niemand wegen seiner Gesinnung,

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