Die Liebe in den Zeiten der Cholera
nicht, was ihm daran so verabscheuungswürdig erschien, daß Jeremiah de Saint-Amour heimlich eine Frau gehabt hatte, handelte es sich doch um eine atavistische Gewohnheit der Männer seiner eigenen Klasse, der auch er, in einem unliebsamen Moment, gefrönt hatte, und außerdem empfand sie es als einen herzzerreißenden Liebesbeweis, daß die Frau ihrem Geliebten bei der Ausführung seines tödlichen Entschlusses beigestanden hatte. Sie sagte: »Falls auch du das aus so ernsthaften Gründen beschließen würdest, wäre es meine Pflicht, wie sie zu handeln.« Wieder einmal kam Doktor Urbino das schlichte Unverständnis in die Quere, das ihn ein halbes Jahrhundert lang zur Verzweiflung getrieben hatte. »Du verstehst nichts«, sagte er. »Was mich empört, ist nicht, wer er war oder was er getan hat, sondern daß er uns alle so viele Jahre lang hinters Licht geführt hat.« Seine Augen begannen sich mit lockeren Tränen zu füllen, doch sie gab vor, es nicht zu bemerken. »Er hat recht daran getan«, erwiderte sie. »Hätte er die Wahrheit gesagt, hätten weder du noch diese arme Frau, noch sonst jemand in diesem Kaff ihn so geliebt, wie ihr ihn geliebt habt.«
Sie befestigte die Kette der Taschenuhr am Knopfloch der Weste, rückte noch einmal den Krawattenknoten zurecht und steckte ihm die Topasnadel an. Dann trocknete sie ihm die Tränen, säuberte ihm den verweinten Bart mit einem in Duftwasser angefeuchteten Taschentuch und steckte es ihm dann mit aufgefächerten Spitzen wie eine Magnolie in die Brusttasche. Die elf Schläge der Pendeluhr hallten in der stehenden Luft des Hauses.
»Beeil dich«, sagte sie ihn unterhakend, »wir kommen noch zu spät.«
Aminta Dechamps, Gattin des Doktor Lácides Olivella, hatte mit ihren sieben Töchtern, eine war anstelliger als die andere, alles vorausbedacht, damit das Jubiläumsessen zum gesellschaftlichen Ereignis des Jahres werde. Die Familienresidenz mitten im historischen Stadtkern war das ehemalige Münzhaus, das ein Florentiner Architekt entstellt hatte, als er hier wie ein böser Wind der Erneuerung durchgezogen war und dabei mindestens vier Baudenkmäler aus dem siebzehnten Jahrhundert in venezianische Basiliken verwandelt hatte. Das Haus hatte sechs Schlafzimmer und zwei Säle für Diners und Empfänge, großräumig und luftig und doch nicht ausreichend für die geladenen Gäste aus der Stadt sowie die besonders erlesenen, die von außerhalb kommen sollten. Der Patio war dem Kreuzgang einer Abtei zum Verwechseln ähnlich, mit einem singenden Steinbrunnen in der Mitte und Heliotropbeeten, die am Abend das Haus in Duft hüllten, doch der Raum zwischen den Arkaden reichte für so viele und große Namen nicht aus. Daher wurde beschlossen, das Essen auf dem Landsitz der Familie zu geben, zehn Autominuten auf dem Camino Real entfernt. Dort gab es einen weitläufigen Innenhof, riesige indische Lorbeerbäume und einheimische Seerosen auf einem zahmen Flüßchen. Unter der Anleitung von Frau Olivella spannten die Kellner des Meson de Don Sancho dort, wo kein Schatten war, farbige Sonnenzelte über die in einem Viereck aufgestellten Tischchen für einhundertzweiundzwanzig Gedecke auf Leinentischtüchern und den Ehrentisch, den tagfrische Rosensträuße schmücken sollten. Sie errichteten auch ein Podium für eine Blaskapelle mit einem ausgewählten Programm von nationalen Kontertänzen und Walzern und für ein Streichquartett der Kunstakademie, dies war eine Überraschung von Frau Olivella für den verehrten Lehrmeister ihres Mannes, der dem Festmahl Vorsitzen sollte. Obwohl das Datum strenggenommen nicht mit dem Tag des Hochschulabschlusses übereinstimmte, hatten sie den Pfingstsonntag gewählt, um dem Fest eine noch höhere Bedeutung zu verleihen.
Die Vorbereitungen hatten drei Monate vorher begonnen, aus Furcht, daß etwas Unabdingbares aus Zeitmangel nicht hätte ausgeführt werden können. Sie ließen aus der Ciénaga de Oro lebende Hühner bringen, die an der ganzen Küste berühmt waren, nicht nur wegen ihrer Größe und Köstlichkeit, sondern weil sie zu Zeiten der Kolonie im Schwemmland gepickt hatten und Klümpchen puren Goldes in dem Bries gefunden worden waren. Señora Olivella stieg, begleitet von einigen ihrer Töchter und Dienstboten, persönlich an Bord der Luxus-Transatlantikdampfer, um das Beste aus aller Welt auszusuchen und so die Verdienste ihres Mannes zu ehren. Sie hatte alles bedacht, nur nicht, daß das Fest an einem Junisonntag in einem Jahr der
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