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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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die wir die Reglements machen, stehen als erste in der Pflicht, sie einzuhalten«, hatte er gesagt. Dennoch ging Florentino Ariza mit Doktor Urbino Daza dies Risiko ein, wurde dann auch bevorzugt bedient, aber nicht aufgefordert, sich ins Goldene Buch der prominenten Gäste einzutragen. Das Mittagessen war kurz, sie blieben unter sich, und alles lief in Moll ab. Die mit diesem Treffen verbundenen Ängste, die Florentino Ariza seit dem vergangenen Abend beunruhigt hatten, zerstreuten sich bei dem Glas Portwein zum Aperitif. Doktor Urbino Daza wollte mit ihm über seine Mutter sprechen. Aus allem, was er sagte, konnte Florentino Ariza entnehmen, daß sie von ihm erzählt hatte. Erstaunlicher noch: Sie hatte zu seinen Gunsten gelogen. Sie hatte dem Sohn erzählt, daß sie von Kindesbeinen an befreundet gewesen seien, daß sie beide, nachdem sie von San Juan de la Ciénaga hergezogen war, zusammen gespielt hätten, daß er es gewesen sei, der sie an Bücher herangeführt habe und sie ihm gegenüber deshalb eine alte Dankbarkeit empfinde. Sie hatte ihm noch erzählt, daß sie nach der Schule oft viele Stunden bei Tránsite Ariza im Kurzwarenladen verbracht habe, wo ihr wahre Wunder beim Sticken gelungen seien, da diese Frau eine bemerkenswerte Lehrerin gewesen sei, und wenn sie Florentino Ariza später nicht mehr so häufig gesehen habe, so habe dies nicht an ihr, sondern an ihrer beider unterschiedlichen Lebensläufen gelegen. Bevor Doktor Urbino Daza zu seinem eigentlichen Anliegen kam, stellte er einige Betrachtungen über das Alter an. Er meinte, daß die Welt sich ohne die Behinderung durch die alten Menschen schneller fortbewegen würde. Er sagte: »Wie die Heereszüge schreitet auch die Menschheit mit der Geschwindigkeit des Langsamsten voran.« Er sah eine Zukunft voraus, die humanitärer und daher auch zivilisierter sein würde, in der diese Menschen in Siedlungen am Rande der Städte ausgegliedert würden, wenn sie sich nicht mehr auf Dauer allein versorgen könnten, was ihnen die Scham, die Leiden und die grauenvolle Einsamkeit des Alters ersparen würde. Von ärztlicher Sicht aus konnte seiner Meinung nach diese Altersgrenze bei sechzig Jahren liegen. Bis man aber jene Stufe der Barmherzigkeit erreicht habe, wären Altersheime die einzige Lösung, dort könnten die Alten einander trösten, sich in den Vorlieben und Aversionen, in der Bitterkeit und den Traurigkeiten der anderen wiedererkennen, ohne von den naturgegebenen Zwistigkeiten zwischen den Generationen bedroht zu sein. Er meinte: »Alte sind unter Alten weniger alt.« Langer Rede kurzer Sinn: Doktor Urbino Daza wollte Florentino Ariza dafür danken, daß er seiner Mutter in der Einsamkeit ihrer Witwenschaft so freundlich Gesellschaft leistete, und bat ihn inständig, es auch weiterhin zu tun, zu beider Nutzen und aller Bequemlichkeit, und mit ihren Greisenlaunen Geduld zu haben. Florentino Ariza war erleichtert über den Ausgang des Gesprächs. »Sie können ganz beruhigt sein«, sagte er, »ich bin vier Jahre älter als Ihre Mutter, und das nicht erst jetzt, sondern schon seit langem, lange bevor Sie geboren wurden.« Dann gab er der Versuchung nach, sich mit einem ironischen Stich Luft zu machen.
    »In der künftigen Gesellschaft«, schloß er, »müßten Sie jetzt auf den Gottesacker gehen, um ihr und mir einen Strauß Anthurien zum Mittagsmahl zu bringen.« Doktor Urbino Daza hatte bis dahin nicht bedacht, wie unpassend seine Zukunftsvision war, und geriet in eine Sackgasse mit seinen Erklärungen, in denen er sich schließlich verhedderte. Doch Florentino Ariza half ihm, wieder herauszukommen. Er war glänzender Laune, wußte er doch, daß er, um einer gesellschaftlichen Formalität zu genügen, früher oder später eine ähnliche Zusammenkunft mit Doktor Urbino Daza haben würde: Wenn er bei ihm offiziell um die Hand seiner Mutter anhielt. Das Essen war sehr ermutigend, nicht nur wegen des eigentlichen Anlasses, sondern weil es ihm auch zeigte, wie selbstverständlich und wohlwollend seine unvermeidliche Bitte aufgenommen werden würde. Hätte er schon mit der Zustimmung von Fermina Daza rechnen können, wäre keine Gelegenheit günstiger gewesen. Mehr noch: Nach ihrem Gespräch bei diesem denkwürdigen Mittagessen war ein förmlicher Antrag fast überflüssig geworden.
    Florentino Ariza war Treppen stets besonders vorsichtig hinauf- und hinuntergestiegen, selbst als er noch jung war, weil er immer gemeint hatte, daß das Alter mit einem ersten

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