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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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verursachten solche Störungen bei der Postverteilung, und es gab so viel Protest bei den Kunden, daß Florentino Ariza nur deshalb seine Stelle nicht verlor, weil Lothario Thugut ihn am Telegraphen behielt und zum Chor in die Kathedrale mitnahm, damit er dort Geige spiele. Vom Altersunterschied her, sie hätten Großvater und Enkel sein können, war nicht einsichtig, warum sie sich so gut verstanden, sowohl bei der Arbeit wie auch in den Hafenschenken, wo die Nachtschwärmer jenseits aller Klassenschranken landeten, armselige Schluckspechte, aber auch junge Herren im Abendanzug, die von den Galafesten des Club Social flohen, um hier gebackene Meeräsche mit Kokosreis zu essen. Lothario Thugut ging gern nach der letzten Telegraphenschicht dorthin und machte dann oft bis zum Morgengrauen durch, trank Jamaikapunsch und spielte Akkordeon mit den verrückten Mannschaften der Antillenschoner. Er war korpulent, vierschrötig, hatte einen goldenen Bart und eine Jakobinermütze, die er aufsetzte, wenn er nachts ausging, und dann fehlte ihm nur noch das Schellenbündel, um dem heiligen Nikolaus aufs Haar zu gleichen. Mindestens einmal in der Woche landete er bei einer Nachtvögelin, wie er sie nannte, bei einer der vielen, die in einer Absteige für Matrosen Erste-Hilfe-Liebe anboten. Als er Florentino Ariza kennenlernte, führte er ihn zuerst mit einem gewissen lehrmeisterlichen Vergnügen in die Geheimnisse seines Paradieses ein. Er suchte ihm die Vögelinnen aus, die er für die besten hielt, verhandelte mit ihnen über Preis und Stellung und erbot sich, die Leistung im voraus von seinem Geld zu bezahlen. Florentino Ariza nahm das jedoch nicht an: Er war unschuldig und hatte den Vorsatz, daran nichts zu ändern, es sei denn aus Liebe. Das Stundenhotel war ein heruntergekommenes Palais aus der Kolonialzeit. Man hatte die großen Salons und die Marmorgemächer in Kämmerchen unterteilt, die sowohl zum Zustoßen wie zum Zuschauen vermietet wurden, da in ihre Pappwände mit Nadeln Gucklöcher gebohrt worden waren. Es wurde von Spannern erzählt, denen man ein Auge mit einer' Stricknadel ausgestochen hatte, von einem, der seine eigene Ehefrau in jener erkannte, an der er sich eben sattsehen wollte, von vornehmen Herren, die als Marktfrauen verkleidet kamen, um sich mit Obermaaten auf Landgang abzukühlen, und von etlichen weiteren Betriebsunfällen bei Belauernden und Belauerten, so daß die bloße Vorstellung, ins Nebenzimmer zu spähen, Florentino Ariza in Schrecken versetzte. Also konnte ihn Lothario Thugut nicht davon überzeugen, daß sehen und gesehen werden Raffinements europäischer Fürsten sind.
    Im Gegensatz zu dem, was seine Korpulenz vermuten ließ, hatte er das einer Rosenknospe gleichende Schwänzchen eines Cherubs. Doch mußte es sich um einen glücklichen Defekt handeln, denn die gesuchtesten Vögelinnen machten sich die Ehre streitig, unter ihm zu liegen, und wenn sie dann kopflos schrien, bebten die Grundpfeiler des Palais, und seine Gespenster erzitterten vor Grauen. Es hieß, er verwende eine Schlangengiftpomade, die das Yspilon der Frauen erglühen ließ, doch er schwor, keine anderen Mittel zu benutzen, als die ihm von Gott verliehenen. Er lachte sich darüber tot und sagte: »Das ist reine Liebe.« Viele Jahre mußten vergehen, bis Florentino Ariza begriff, daß er vielleicht recht damit gehabt hatte. Endgültig überzeugt war er davon auf einer fortgeschrittenen Stufe seiner Lehrjahre des Gefühls, als er einen Mann kennenlernte, der wie ein König davon lebte, drei Frauen gleichzeitig auszubeuten. Die drei rechneten bei Morgengrauen mit ihm ab, lagen ihm demütig zu Füßen, damit er ihnen die kläglichen Einnahmen verzieh, und ersehnten sich als einzige Belohnung, daß er mit derjenigen schlief, die ihm das meiste Geld gebracht hatte. Florentino Ariza hatte geglaubt, daß nur Angst und Schrecken zu einer solchen Erniedrigung führen könnten. Eines der drei Mädchen verblüffte ihn jedoch damit, daß das Gegenteil wahr sei.
    »Diese Dinge«, sagte sie, »kann man nur aus Liebe tun.« Nicht so sehr wegen seiner Verdienste als Rammler als wegen seines persönlichen Charmes war Lothario Thugut einer der geschätztesten Kunden des Hotels geworden. Auch Florentino Ariza gewann, obgleich er so still und abwesend war, das Wohlwollen des Besitzers, so daß er sich in der härtesten Zeit seiner Qualen in eines der stickigen Zimmerchen einschließen durfte, um dort Gedichte und rührselige Geschichten zu lesen.

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