Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Und von seinen Träumereien blieben Nester dunkler Schwalben auf den Balkonen zurück, das Gewisper von Küssen und ein Flügelschlagen in der Mattigkeit der Siesta. Am Abend, wenn die Hitze nachließ, war es unmöglich, die Gespräche der Männer zu überhören, die kamen, um sich bei einer schnellen Umarmung vom Arbeitstag zu entspannen. So erfuhr Florentino Ariza von mancher Intrige und sogar von einigen Staatsgeheimnissen, die Kunden von Rang, auch städtische Würdenträger, ihren flüchtigen Geliebten anvertrauten, ohne darauf zu achten, ob sie von den Nachbarzimmern gehört werden konnten. Auf diese Weise erfuhr er auch, daß vier Seemeilen nördlich vom Sotavento Archipel seit dem achtzehnten Jahrhundert eine gesunkene spanische Galeone mit Feingold und Edelsteinen im Wert von mehr als fünfhunderttausend Millionen Pesos lag. Er staunte über die Geschichte, dachte aber nicht weiter daran, bis einige Monate später sein Liebeswahnsinn in ihm das Verlangen weckte, den gesunkenen Schatz zu heben: Fermina Daza sollte in Becken aus Gold baden können.
In späteren Jahren, als er sich zu vergegenwärtigen suchte, wie die durch poetische Alchimie verklärte Jungfrau denn wirklich gewesen war, konnte er sie nicht gelöst von den herzzerreißenden Abenden jener Zeit sehen. Und auch als er ihr, ohne selbst gesehen zu werden, auflauerte, in jenen Tagen der Seelenqual, da er der Antwort auf seinen ersten Brief entgegenfieberte, war sie ihm entrückt unter dem feinen Blütenregen der Mandelbäume im gleißenden Zwei-Uhr-mittags-Licht eines das ganze Jahr währenden Aprils. Nur deshalb war er damals daran interessiert, Lothario Thugut mit der Geige zu begleiten, weil er in der Kathedrale von dem Vorzugsplatz auf der Chorgalerie aus sehen konnte, wie sich ihre Tunika im Hauch der Gesänge bewegte. Doch seine krankhafte Sehnsucht verdarb ihm schließlich dieses Vergnügen, er versuchte nämlich, da ihm in seiner Seelenverfassung die geistliche Musik allzu harmlos erschien, die Glut von Liebeswalzern in sein Spiel zu legen, woraufhin sich Lothario Thugut gezwungen sah, ihn aus dem Chor zu entlassen. Das war zu der Zeit, als Florentino Ariza dem Verlangen nachgab, die von seiner Mutter in den Beeten des Patio gezogenen Gardenien zu essen, und so erfuhr, wie Fermina Daza schmeckte. In dieser Zeit fand er auch zufällig in einem Koffer der Mutter eine Einliterflasche Kölnisch Wasser, das die Matrosen der Hamburg-Amerika-Linie schwarz verkauften, und konnte, auf der Suche nach anderen Geschmacksnuancen der geliebten Frau, der Versuchung nicht widerstehen, davon zu kosten. Er trank bis zum Morgengrauen aus dem Flakon, berauschte sich mit brennenden Schlucken an Fermina Daza, erst in den Hafenschenken, dann, im Bann des Meeres, auf den Klippen, wo sich die Pärchen ohne Bleibe den Tröstungen der Liebe hingaben, bis ihn Bewußtlosigkeit übermannte. Tránsite Ariza, die in größter Sorge bis sechs Uhr früh auf ihn gewartet hatte, suchte ihn an jedem nur denkbaren Ort. Kurz nach Mittag fand sie ihn in einer duftenden Lache von Erbrochenem, an einer Biegung der Bucht, wo gewöhnlich die Ertrunkenen angeschwemmt wurden.
Sie nutzte die Pause der Rekonvaleszenz, um ihm die Passivität, mit der er auf den Antwortbrief wartete, vorzuhalten. Sie erinnerte ihn daran, daß Schwächlinge niemals ins Reich der Liebe eintreten, da es ein Reich ohne Gnade und Großmut ist, und daß Frauen sich nur entschlossenen Männern hingeben, weil diese ihnen die ersehnte Sicherheit geben, mit der man sich im Leben behaupten kann. Florentino Ariza nahm sich die Lektion vielleicht mehr als nötig zu Herzen. Tránsite Ariza konnte ein Gefühl des Stolzes, das eher wollüstig denn mütterlich war, nicht unterdrücken, als sie sah, wie er in dem Anzug aus schwarzem Tuch, mit der Dichterschleife unter dem Zelluloidkragen und der Melone auf dem Kopf das Kurzwarengeschäft verließ. Scherzhaft fragte sie ihn, ob er zu einem Begräbnis ginge. Mit glühenden Ohren antwortete er ihr: »Das ist fast das gleiche.« Sie bemerkte, daß er vor Angst kaum atmen konnte, seine Entschlossenheit aber war unbezwingbar. Sie gab ihm die letzten Ratschläge und ihren Segen und konnte sich kaum mehr vor Lachen halten, als sie ihm eine weitere Flasche Kölnisch Wasser versprach, um dann gemeinsam die Eroberung zu feiern. Seit der Übergabe des Briefes hatte er viele Male sein Versprechen, nicht mehr zu dem kleinen Platz zu kommen, gebrochen, aber stets dafür gesorgt, daß er
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