Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Morgengrauen beim Schreiben überraschte. Es war ausreichend Raum für die beiden, aber nicht für eine weitere Person, erst recht nicht für eine junge Dame aus der Schule Presentación de la Santísima Vírgen, deren Vater eine Hausruine so renoviert hatte, daß sie jetzt wie neu aussah, während die Familien mit sieben Titeln in der Angst zu Bett gingen, die Dächer ihrer Stadtvillen könnten im Schlaf über ihnen einstürzen. Tránsite Ariza hatte also erreicht, daß der Besitzer ihr auch die Galerie zum Hof unter der Voraussetzung überließ, daß sie die nächsten fünf Jahre das Haus instand hielt. Sie hatte die Mittel dazu. Neben ihrem tatsächlichen Einkommen aus dem Kurzwarenladen und dem Verkauf der blutstillenden Fasern, das für ihr bescheidenes Leben gereicht hätte, hatte sie ihre Ersparnisse vielfach vermehrt, indem sie diese an eine Klientel von schamhaften Neuarmen verlieh, die wegen Tránsite Arizas Diskretion auch ihre überzogenen Zinsen akzeptierte. Da stiegen vor dem Eingang des Kurzwarenladens Damen mit dem Gehabe von Königinnen aus ihren Karossen, ohne die Begleitung von Ammen oder störenden Dienstboten, und verpfändeten zwischen zwei Schluchzern, während sie vorgaben, holländische Spitze oder Posamentierborten zu kaufen, den letzten Flitter ihres verlorenen Paradieses. Tránsite Ariza half ihnen mit so viel Rücksicht auf die noble Herkunft aus der Verlegenheit, daß viele, wenn sie wieder gingen, ihr dankbarer für die erwiesene Ehre als für den Gefallen waren. In weniger als zehn Jahren kannte sie die Schmuckstücke, die so oft ausgelöst und dann erneut unter Tränen verpfändet worden waren, wie ihre eigenen, und als der Sohn sich entschloß zu heiraten, lagen die in Goldmünzen eingewechselten Gewinne in einem Tongefäß unter ihrem Bett vergraben. Dann machte sie ihre Berechnungen und stellte fest, daß sie sich nicht nur auf den Handel, das fremde Haus fünf Jahre lang instand zu halten, einlassen konnte, sondern daß sie es vielleicht mit eben der Schläue und etwas mehr Glück vor ihrem Tod für die zwölf Enkel, die sie sich wünschte, kaufen könnte. Florentino Ariza seinerseits war einstweilig zu Lothario Thuguts Stellvertreter ernannt worden, und dieser wollte ihn zu seinem Nachfolger als Chef der Dienststelle machen, wenn er selbst die Leitung der Schule für Telegraphie und Magnetismus übernahm, die im kommenden Jahr eingerichtet werden sollte. Die praktische Seite der Eheschließung war also geregelt. Tránsite Ariza hielt es jedoch für vernünftig, zwei letzte Bedingungen zu stellen. Die erste Bedingung war, in Erfahrung zu bringen, wer Lorenzo Daza wirklich war. Sein Akzent ließ zwar keinen Zweifel an seiner Herkunft, über seine Identität und seine Finanzen wußte jedoch niemand Genaueres. Die zweite Bedingung war eine lange Verlobungszeit, damit sich die Verlobten im persönlichen Umgang gründlich kennenlernen könnten, und daß strengste Diskretion gewahrt werde, bis beide sich ihrer Gefühle ganz sicher waren. Sie schlug vor, daß sie das Ende des Krieges abwarten sollten. Florentino war mit der absoluten Geheimhaltung einverstanden, einmal aus den gleichen Gründen wie seine Mutter, aber auch wegen seiner eigenen verschlossenen Wesensart. Er war auch mit der Verschiebung der Hochzeit einverstanden. Der Termin allerdings erschien ihm unrealistisch, da das Land in einem halben Jahrhundert der Unabhängigkeit nicht einen Tag inneren Friedens erlebt hatte. »Da werden wir beim Warten alt«, sagte er. Sein Pate, der Homöopath, der zufällig bei dem Gespräch dabei war, hielt die Kriege nicht für einen Hinderungsgrund. Er meinte, daß sie nicht mehr seien als Fehden zwischen den Armen des Landes, die von den Großgrundbesitzern wie Ochsen ins Feld getrieben wurden, und den barfüßigen, von der Regierung angetriebenen Soldaten. »Der Krieg findet draußen im Land statt«, sagte er. »Seitdem ich ich bin, tötet man uns in den Städten nicht mit Gewehrkugeln, sondern mit Dekreten.«
Die Einzelheiten der Verlobung wurden jedenfalls in den Briefen der folgenden Woche festgelegt. Fermina Daza, die von der Tante Escolástica beraten wurde, ging auf die Frist von zwei Jahren und die absolute Geheimhaltung ein und schlug vor, Florentino Ariza solle in den Weihnachtsferien, wenn sie die Oberschule beendet hätte, um ihre Hand anhalten. Zu gegebener Zeit würden sie sich dann darüber einigen, auf welche Weise die Verlobung bekanntgegeben werden sollte, was vom Grad der
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