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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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und auch später nie glauben, daß die Tochter von dem heimlichen Liebsten nicht mehr wußte, als daß er von Beruf Telegraphist war und gern Geige spielte.
    Überzeugt, daß ein so umständliches Verhältnis nur mit der Komplizenschaft der Schwester denkbar war, gewährte Lorenzo Daza dieser nicht einmal die Gnade, sich zu entschuldigen. Unwiderruflich schiffte er sie auf dem Schoner nach San Juan de la Ciénaga ein. Fermina Daza konnte sich nie von der Last dieser letzten Erinnerung befreien: An jenem Nachmittag hatte sie sich am Portal von der Tante verabschiedet, die in ihrer braunen Kutte fiebrig glühte, und hatte sie verschwinden sehen, aschgrau und knochig, im Nieselregen des kleinen Platzes, mit dem einzigen, was ihr im Leben geblieben war: dem Bündel der Ledigen und in der Faust, in ein Taschentuch eingewickelt, gerade genug Geld, um einen Monat zu überstehen. Sobald sich Fermina Daza von der Befehlsgewalt des Vaters befreit hatte, ließ sie in allen Provinzen der Karibikküste nach der Tante suchen, fragte jeden, der sie möglicherweise kennen konnte, nach ihr, bekam aber keinerlei Hinweis über ihren Verbleib, bis sie, fast dreißig Jahre später, einen Brief erhielt, der lange Zeit durch viele Hände gegangen war, und sie davon unterrichtete, daß Escolástica Daza im Lazarett von Agua de Dios gestorben war. Lorenzo Daza hatte nicht vorausgesehen, mit welcher Wildheit seine Tochter auf die ungerechte Strafe reagieren würde, deren Opfer ihre Tante Escolástica geworden war. Diese Frau hatte für sie immer die Stelle der Mutter, an die sie sich kaum erinnern konnte, eingenommen. Sie riegelte sich in ihrem Schlafzimmer ein, aß nicht, trank nicht, und als er endlich, erst mit Drohungen, dann mit schlecht verhohlenen Bitten erreichte, daß sie aufmachte, stieß er auf eine verwundete Löwin, die nie wieder fünfzehn Jahre alt sein würde. Er versuchte, sie mit allen möglichen Schmeicheleien weich zu stimmen. Er versuchte, ihr begreiflich zu machen, daß die Liebe in ihrem Alter eine Sinnestäuschung sei. Er versuchte, sie im Guten dazu zu überreden, die Briefe zurückzuschicken, in die Schule zu gehen und auf Knien um Verzeihung zu flehen. Und er gab ihr sein Ehrenwort, der erste zu sein, der ihr helfen würde, mit einem würdigen Bewerber glücklich zu werden. Aber es war, als ob er zu einer Toten spräche. Er war geschlagen, und am Montag beim Mittagessen verlor er die Beherrschung. Während er sich, kurz vor dem Schlaganfall, an seinen Unflätigkeiten und Flüchen verschluckte, legte sie sich ohne dramatische Geste, doch mit sicherer Hand das Fleischmesser an den Hals, und er wagte nicht, dieses bestürzte Augenpaar herauszufordern. Daraufhin hatte er beschlossen, das Risiko einzugehen, fünf Minuten von Mann zu Mann mit diesem dahergelaufenen Unglücksraben zu reden, an den er sich nicht erinnern konnte und der in einer so unglücklichen Stunde seinen Lebensplan durchkreuzt hatte. Aus reiner Gewohnheit nahm er beim Hinausgehen den Revolver mit, war jedoch vorsichtig genug, ihn versteckt unter dem Hemd zu tragen.
    Florentino Ariza hatte noch nicht wieder Luft schöpfen können, als Lorenzo Daza ihn am Arm packte und über die Plaza de la Catedral bis zu den Arkaden des Cafe de la Parroquia schleppte und ihn aufforderte, sich an einen Terrassentisch zu setzen. Sie waren die einzigen Gäste zu jener Stunde, eine schwarze Matrone schrubbte in dem großen Saal mit den gesprungenen und verstaubten Fensterfronten den Fliesenboden, und die Stühle standen, die Beine in der Luft, auf den Marmortischen. Florentino Ariza hatte Lorenzo Daza dort oft beim Kartenspiel mit den Asturiern aus der Markthalle gesehen, sie tranken offenen Wein und stritten sich brüllend über chronische Kriege, die nicht die unseren waren. Im Bewußtsein der Zwangsläufigkeit der Liebe hatte er sich des öfteren gefragt, wie wohl die Begegnung mit ihm verlaufen würde, die früher oder später stattfinden mußte und die keine irdische Macht verhindern konnte, weil sie ihnen beiden von jeher vorbestimmt war. Er hatte sich diese Begegnung als ungleichen Wortwechsel vorgestellt, nicht nur weil Fermina Daza in ihren Briefen vor dem aufbrausenden Charakter des Vaters gewarnt hatte, sondern weil ihm selbst aufgefallen war, daß dessen Augen sogar dann noch, wenn er lauthals am Spieltisch lachte, cholerisch wirkten. Der ganze Mann war ein Tribut an die Vulgarität: der ordinäre Bauch, sein lautes Auftreten, seine Luchskoteletten, die groben

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