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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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»Hurensohn!«
    Noch in derselben Woche ging er mit der Tochter auf die Reise des Vergessens. Er gab ihr keine Erklärung, sondern platzte in ihr Schlafzimmer, den Schnurrbart von schäumender Wut und Kautabak verschmiert, und befahl ihr, die Koffer zu packen. Sie fragte, wohin sie führen, und er antwortete: »In den Tod.« Erschreckt von dieser Antwort, die nur zu sehr der Wahrheit glich, versuchte sie ihm mit der Kühnheit der vergangenen Tage zu begegnen, da zog er den Gürtel mit der massiven Kupferschnalle ab, rollte ihn sich um die Faust und ließ einen Peitschenhieb auf den Tisch niedersausen, der wie ein Gewehrschuß im Haus widerhallte. Fermina Daza kannte das Ausmaß und die Möglichkeiten ihrer eigenen Kraft gut genug, sie packte also ein Bündel mit zwei Strohmatten und einer Hängematte sowie zwei große Koffer mit all ihrer Kleidung, überzeugt davon, daß es sich um eine Reise ohne Rückkehr handelte. Bevor sie sich anzog, sperrte sie sich im Badezimmer ein und schaffte es noch, Florentino Ariza auf einem abgerissenen Blatt Toilettenpapier einen kurzen Abschiedsbrief zu schreiben. Dann schnitt sie sich mit der Gartenschere ihren Zopf am Hinterkopf ab, steckte ihn zusammengerollt in ein mit Goldfäden besticktes Samtetui und schickte es mit dem Brief ab.
    Es war eine wahnwitzige Reise. Allein die erste Etappe mit einer Andenviehtreiber-Karawane über die Gratpfade der Sierra Nevada dauerte elf Tage auf Maultierrücken, sie ritten abgestumpft unter nackten Sonnen oder durchweicht von den horizontalen Oktoberschauern, den Atem fast immer versteinert vom einschläfernden Dunst der Abgründe. Am dritten Reisetag stürzte ein von den Stechbremsen wildgewordenes Maultier mit seinem Reiter in den Abgrund und zog sieben weitere angeseilte Lasttiere mit sich, das Gebrüll des Mannes und der zusammengeklumpten Tiere prallte von Hohlwegen und Klippen mehrere Stunden lang zurück und hallte noch nach Jahren in Fermina Dazas Erinnerung wider. Ihr ganzes Gepäck war mit den Maultieren abgestürzt, doch in dem jahrhundertelangen Augenblick dieses Sturzes, bis auf dem Grund der Angstschrei erstarb, hatte sie nicht an den armen Maultiertreiber gedacht, auch nicht an die zerschmetterten Lasttiere, sondern nur das Unglück bedauert, daß nicht auch ihr eigenes Maultier an die anderen gebunden gewesen war.
    Zum ersten Mal ritt sie, doch die Angst und die unzähligen Mühen der Reise wären ihr nicht so bitter erschienen, wenn sie nicht sicher gewesen wäre, niemals wieder Florentino Ariza zu sehen oder den Trost seiner Briefe zu haben. Seit Beginn der Reise hatte sie nicht wieder das Wort an ihren Vater gerichtet, und dieser war so bedrückt, daß er nur bei den notwendigsten Gelegenheiten mit ihr redete oder ihr Botschaften durch die Treiber zukommen ließ. Wenn sie Glück hatten, fanden sie ein Gasthaus am Weg, wo man ihnen Bergkost vorsetzte und Betten vermietete, deren Laken von ranzigem Schweiß und Urin wie gestärkt waren. In der Regel verbrachten sie jedoch die Nacht in den Rancherias der Indios, öffentliche Schlafsäle im Freien, die am Wegesrand erbaut waren und aus reihenweise aufgestellten Pfeilern und Dächern aus Palmenzweigen bestanden. Jeder Ankömmling hatte das Recht, dort zu übernachten. Fermina Daza schlief nicht eine einzige Nacht durch. Sie schwitzte vor Angst, hörte im Dunkeln das heimliche Kommen der Reisenden, die ihre Tiere an die Pfeiler banden und ihre Hängematten, wo es eben ging, befestigten.
    Am Abend, wenn die ersten eintrafen, war das Lager noch überschaubar und ruhig, doch bei Tagesanbruch hatte es sich in einen Marktplatz verwandelt, allenthalben hingen auf unterschiedlicher Höhe die Hängematten, Aruaco-Indianer aus den Bergen schliefen irgendwo in Hockstellung, die angebundenen Ziegenböcke meckerten, die Kampfhähne lärmten in ihren Pharaonen-Käfigen, und die Berghunde, die wegen der allgegenwärtigen Gefahren des Kriegs darauf abgerichtet waren, nicht zu bellen, hechelten stumm. Solche Mühsal war Lorenzo Daza, der ein halbes Leben lang in dieser Zone Handel getrieben hatte, vertraut, und es gab kaum einen Morgen, an dem er nicht alte Freunde traf. Für die Tochter war es eine Agonie ohne Ende. Der Gestank der Ladungen von eingesalzenen Bagrewelsen, dazu die der Sehnsucht eigene Appetitlosigkeit verdarben ihr gründlich die Gewohnheit zu essen. Und sie wurde nur deshalb nicht vor Verzweiflung wahnsinnig, weil sie in der Erinnerung an Florentino Ariza stets Erleichterung fand.

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