Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Hände mit dem von der Fassung des Opals gewürgten Ringfinger. Der einzig anrührende Zug, den Florentino Ariza sogleich bemerkt hatte, als er ihn zum ersten Mal gehen sah, war, daß sein Gang wie der der Tochter an Rotwild erinnerte. Als der Mann dann auf den Stuhl wies, damit Florentino Ariza sich setzte, erschien er diesem schon weniger schroff, und als er ihn zu einem Glas Anisschnaps einlud, konnte er wieder durchatmen. Florentino Ariza hatte so früh noch nie etwas getrunken, nahm jedoch dankbar an, weil er es dringend nötig hatte.
Lorenzo Daza brauchte tatsächlich nicht mehr als fünf Minuten, um seine Beweggründe darzulegen, und tat es mit einer entwaffnenden Offenheit, die Florentino Ariza vollends verwirrte. Nach dem Tode seiner Frau habe er den Vorsatz gefaßt, aus der Tochter eine große Dame zu machen. Der Weg dahin sei lang und unsicher für einen Maultierhändler, der weder lesen noch schreiben könne und dessen Ruf, ein Viehdieb zu sein, zwar nicht bewiesen, aber dafür in der Provinz San Juan de la Ciénaga weit verbreitet war. Er zündete sich eine Viehtreiberzigarre an und klagte: »Nur schlechte Gesundheit ist schlimmer als ein schlechter Ruf.« Dabei sei, sagte er, das wahre Geheimnis seines Vermögens, daß keines seiner Maultiere so viel und so hartnäckig arbeite wie er selbst, und zwar sogar in den bittersten Zeiten des Krieges, wenn die Dörfer in Asche und die Felder verwüstet erwachten. Obgleich die Tochter nie über die Planung ihres Schicksals informiert worden war, verhielt sie sich wie eine eifrige Komplizin. Sie war intelligent und systematisch, brachte dem Vater gar das Lesen bei, sobald sie es selbst gelernt hatte, und mit zwölf Jahren war ihr praktischer Realitätssinn so weit entwickelt, daß sie auch ohne Hilfe ihrer Tante Escolástica den Haushalt hätte führen können. »Sie ist ein Goldesel«, seufzte er. Als die Tochter die Primarschule beendet hatte, mit sehr guten Noten in allen Fächern und einer Ehrenurkunde bei der Abschlußfeier, hatte er begriffen, daß San Juan de la Ciénaga ein zu begrenzter Raum für die Entfaltung seiner Hoffnungen war. So hatte er Land und Vieh verkauft und war mit neuem Schwung und siebzigtausend Goldpesos in diese Stadt der Ruinen übergesiedelt, deren Ruhm zwar die Motten angefressen hatten, wo aber eine schöne, nach alter Art erzogene Frau noch die Chance hatte, durch eine Geldheirat neu geboren zu werden. Florentino Arizas Auftauchen sei ein unvorhergesehenes Hindernis bei der Verwirklichung dieses verbissenen Vorsatzes. »Ich bin daher hier, um Sie inständig um etwas zu bitten«, sagte Lorenzo Daza. Er feuchtete das Ende der Zigarre im Anisschnaps an, saugte einmal daran und schloß mit sorgenvoller Stimme: »Stehen Sie uns nicht im Weg.« Florentino Ariza hatte schlückchenweise den Anisschnaps getrunken und dabei so gebannt die Enthüllung von Fermina Dazas Vergangenheit verfolgt, daß er sich nicht einmal gefragt hatte, was er sagen könnte, wenn es an ihm sei, zu sprechen. Als der Moment gekommen war, begriff er, daß, was immer er sagte, sein Schicksal aufs Spiel setzte. »Haben Sie mit ihr gesprochen?« fragte er. »Das geht Sie nichts an«, sagte Lorenzo Daza. »Ich frage nur«, sagte Florentino Ariza, »weil ich der Meinung bin, daß sie diejenige ist, die entscheiden muß.«
»Nichts da«, sagte Lorenzo Daza. »Das hier ist Männersache und wird unter Männern geregelt.«
Der Ton war nun drohend, und ein Gast an einem Nebentisch drehte sich nach ihnen um. Florentino Ariza sprach so leise, aber auch so entschieden er konnte. »Auf alle Fälle kann ich keine Antwort geben, ohne zu wissen, wie sie darüber denkt. Es wäre Verrat.« Da warf sich Lorenzo Daza in seinen Stuhl zurück, seine Lider waren gerötet und feucht, und das linke Auge kreiste in der Augenhöhle und blieb nach außen schielend stehen. Auch er senkte die Stimme.
»Zwingen Sie mich nicht, Ihnen eine Kugel zu verpassen«, sagte er.
Florentino Ariza spürte, wie sich in seinen Gedärmen kalter Schaum ausbreitete. Doch seine Stimme zitterte nicht, denn er fühlte sich zugleich vom Heiligen Geist erleuchtet. »Schießen Sie nur«, sagte er, die Hand auf die Brust gelegt. »Es gibt keinen größeren Ruhm, als für die Liebe zu sterben.«
Lorenzo Daza mußte ihn wie ein Papagei von der Seite her anschauen, um ihn mit dem abgedrifteten Auge in den Blick zu bekommen. Er sprach die zwei Worte nicht, er schien sie, Silbe für Silbe auszuspucken:
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