Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Lorenzo Daza den Fehler begangen, sich telegraphisch bei seinem Schwager Lisimaco Sánchez anzukündigen, und dieser hatte seinerseits die Nachricht an seine weit verzweigte Verwandtschaft telegraphiert, die über zahlreiche Dörfer und Seitenwege der Provinz verstreut lebte. Daher konnte Florentino Ariza nicht nur die genaue Reiseroute herausfinden, er hatte auch eine umfassende Bruderschaft der Telegraphisten begründet, mit deren Hilfe er Fermina Dazas Spur bis in die letzte Rancheria am Cabo de la Vela verfolgen konnte. Das erlaubte ihm, in intensivem Kontakt mit ihr zu bleiben, von dem Augenblick ihrer Ankunft in Valledupar an, wo sie drei Monate blieb, bis zum Ende der Reise in Riohacha eineinhalb Jahre später, als Lorenzo Daza es für erwiesen hielt, daß seine Tochter vergessen hatte, und die Heimkehr beschloß. Vielleicht war er sich selbst nicht dessen bewußt, wie sehr seine Wachsamkeit nachgelassen hatte, abgelenkt, wie er war, von den Schmeicheleien der angeheirateten Verwandtschaft, die nach so vielen Jahren ihre Sippenvorurteile abgelegt hatte und ihn mit offenen Armen als einen der Ihren aufnahm. Der Besuch war eine späte Aussöhnung, auch wenn das nicht sein Zweck gewesen war. Tatsächlich hatte die Familie von Fermina Sánchez um jeden Preis verhindern wollen, daß sie einen Einwanderer unbekannter Herkunft heiratete, der, großmäulig und grob, nirgendwo seßhaft war und einen Bergmuli-Handel betrieb, der allzu leicht ging, um rechtschaffen zu sein. Lorenzo Daza hatte alles eingesetzt, warb er doch um das begehrteste Mädchen einer der alteingesessenen Familien: ein verzweigter Stamm von starken Frauen und Männern mit weichem Herzen und lockerem Schießeisen, die in ihrem Ehrgefühl bis zum Wahnsinn reizbar waren. Fermina Sánchez setzte jedoch ihren Kopf mit der blinden Entschlossenheit der angefeindeten Lieben durch und heiratete ihn gegen den Willen der Familie, so hastig und mit so viel Geheimnistuerei, als täte sie es nicht aus Liebe, sondern um über eine voreilige Sorglosigkeit den Mantel des Ehesegens zu breiten. Fünfundzwanzig Jahre später bemerkte Lorenzo Daza nicht, daß seine Unnachgiebigkeit gegenüber der Liebschaft seiner Tochter eine zwanghafte Wiederholung seiner eigenen Geschichte war, klagte er doch eben jenen Schwägern jetzt sein Leid, die seinerzeit über ihn geklagt und sich gegen ihn gestellt hatten. Die Zeit aber, die er mit Klagen verschwendete, gewann die Tochter für ihre Liebe. Während er also auf den blühenden Ländereien seiner Schwäger Jungstiere kastrierte und Maultiere zuritt, spazierte sie am lockeren Zügel im Schwarm der Kusinen unter dem Kommando von Hildebranda Sánchez, der schönsten und gefälligsten, deren zukunftslose Leidenschaft für einen zwanzig Jahre älteren Mann mit Ehefrau und Kindern sich mit flüchtigen Blicken begnügen mußte.
Nach dem ausgedehnten Aufenthalt in Valledupar setzten sie die Reise über die Ausläufer der Sierra fort, über blühende Felder und traumhafte Hochebenen, und in allen Orten wurden sie wie im ersten empfangen, mit Musik und Feuerwerk und neuen verschworenen Kusinen und pünktlichen Botschaften an den Telegraphenstationen. Fermina Daza wurde bald klar, daß der Abend ihrer Ankunft in Valledupar nichts Besonderes gewesen war, da in dieser fruchtbaren Provinz alle Wochentage wie Feiertage begangen wurden. Besucher schliefen dort, wo sie die Nacht überraschte, und aßen, wo sie der Hunger einholte, denn es waren Häuser mit offenen Türen, wo immer eine Hängematte bereit hing und ein Eintopf mit drei Fleischsorten auf dem Feuer köchelte, für den Fall, daß jemand vor dem Ankündigungstelegramm eintraf, was fast immer geschah. Hildebranda Sánchez begleitete die Kusine auf dem Rest der Reise und führte sie heiter und sicher durch die verzweigten Bahnen des Bluts bis zu seinen Quellen. Fermina Daza fand zu sich, fühlte sich zum ersten Mal Herrin ihrer selbst, fühlte sich begleitet und beschützt, ihre Lungen gefüllt mit der Luft der Freiheit, die ihr die Ruhe und die Lebenslust wiedergab. Noch in ihren letzten Jahren sollte sie jener Reise, die ihr in der Erinnerung immer näher rückte, mit der perversen Scharfsicht der Nostalgie gedenken.
Eines Abends kehrte sie verstört vom täglichen Spaziergang zurück, sie hatte entdeckt, daß man nicht nur ohne Liebe, sondern auch gegen die Liebe glücklich sein kann. Diese Entdeckung beunruhigte sie, da eine ihrer Kusinen ein Gespräch zwischen deren Eltern und
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