Die Liebe in den Zeiten der Cholera
ein Schwärm von Kindern, die wie die Haifische schwammen, die Neugierigen um Münzen an, die sie vom Meeresgrund herauftauchten. Diese Kinder schwammen aus dem gleichen Grund den Überseedampfern entgegen und wurden in den USA und in Europa in zahlreichen Reiseberichten wegen ihrer Meisterschaft in der Kunst des Tauchens erwähnt. Florentino Ariza kannte sie seit eh und je, noch bevor er der Liebe verfallen war, aber es war ihm bis dahin nie in den Sinn gekommen, daß sie vielleicht in der Lage wären, den Schatz der Galeone zu heben. An jenem Nachmittag kam ihm dieser Gedanke, und er hatte, vom darauffolgenden Sonntag an bis zur Rückkehr von Fermina Daza, fast ein Jahr später, einen zusätzlichen Anlaß für sein Delirium.
Euclides, einer der kleinen Schwimmer, ließ sich in einem knapp zehn Minuten langen Gespräch von seiner Begeisterung für die Unterwassererkundung anstecken. Florentino Ariza entdeckte ihm nicht den wahren Zweck der Unternehmung, sondern informierte sich nur gründlich über seine Fähigkeiten als Taucher und Bootsführer. Er fragte ihn, ob er in zwanzig Meter Tiefe hinuntertauchen könne, und Euclides sagte ja. Er fragte ihn, ob er in der Lage sei, einen Fischerkahn allein und mit keinem anderen Instrument als seinem Instinkt bei Sturm über das offene Meer zu führen, und Euclides sagte ja. Er fragte ihn, ob er fähig sei, einen genauen Punkt sechzehn Seemeilen nordöstlich von der Hauptinsel des Sotavento Archipels zu orten, und Euclides sagte ja. Er fragte ihn, ob er nachts fahren und sich an den Sternen orientieren könne, und Euclides sagte ja. Er fragte ihn, ob er bereit sei, das für denselben Tageslohn zu tun, den ihm die Fischer für Hilfsdienste zahlten, und Euclides sagte: ja, aber mit einem Sonntagszuschlag von fünf Reales. Er fragte ihn, ob er sich vor Haien zu schützen wisse, und Euclides sagte ja, er beherrsche magische Kunstgriffe, um sie zu vertreiben. Er fragte ihn, ob er fähig sei, ein Geheimnis auch in den Folterkammern des Inquisitionspalasts zu bewahren, und Euclides sagte ja, weil er zu nichts nein sagte, und er konnte mit so viel Aplomb ja sagen, daß kein Zweifel möglich war. Zum Schluß machte er Florentino Ariza einen Kostenvoranschlag: die Miete des Kahns, die Miete des Steuerruders, die Miete der Fischerausrüstung, damit niemand Verdacht über das wahre Ziel der Unternehmung schöpfen könne. Außerdem mußte Proviant mitgenommen werden, ein Süßwasserbehälter, eine Öllampe, ein Päckchen Talglichter und ein Jagdhorn, um im Notfall um Hilfe blasen zu können. Er war etwa zwölf Jahre alt, flink und gewitzt, schwatzte pausenlos und hatte den Körper eines Aals, wie geschaffen, um durch ein Bullauge zu gleiten. Wind und Wetter hatten seine Haut derart gegerbt, daß es unmöglich war, deren ursprüngliche Farbe zu bestimmen, und seine großen gelben Augen schienen dadurch noch strahlender; Florentino Ariza entschied sogleich, daß er der perfekte Komplize für ein Abenteuer solchen Umfangs sei, und am folgenden Sonntag machten sie sich ohne weitere Vorbereitungen auf. Bei Tagesanbruch liefen sie vom Fischerhafen aus, gut mit Proviant eingedeckt und noch besser aufgelegt. Euclides war fast nackt, gerade mit dem Lendenschurz bedeckt, den er immer trug, und Florentino Ariza im Gehrock, mit dem Trauerzylinder, den Lackstiefeln und der Dichterschleife um den Hals sowie einem Buch, um sich die Zeit der Überfahrt zu den Inseln zu vertreiben. Vom ersten Sonntag an war ihm klar, daß Euclides ein ebenso geschickter Seefahrer wie guter Taucher war und erstaunlich bewandert über die Natur des Meeres und die Wracks in der Bucht. Er konnte mit unerwarteten Einzelheiten über die Geschichte jedes rostzerfressenen Schiffsrumpfs aufwarten, kannte das Alter jeder Boje, die Zahl der Glieder jener Kette, mit der die Spanier den Eingang zur Bucht abgeriegelt hatten. Besorgt, daß er auch den Zweck der Expedition kennen könne, stellte Florentino Ariza ihm einige Fangfragen und merkte dabei, daß Euclides keinerlei Ahnung von der gesunkenen Galeone hatte.
Seitdem er im Stundenhotel zum ersten Mal die Geschichte des Schatzes gehört hatte, hatte Florentino Ariza sich so gut wie möglich über die Eigenheiten der Galeonen informiert. Er fand heraus, daß die San Jose nicht allein auf dem Korallengrund lag. Tatsächlich war sie das Flaggschiff der Festlandflotte gewesen und hier im Mai 1708 eingetroffen. Bei ihrer vorigen Station, dem legendären Markt in Portobello, Panama,
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